Der häusliche Herd
über ihn; sie bändigte ihn
mit einem Blicke. Als sie noch ein Kind war, hatte sie eine lange,
schwere Krankheit zu überstehen, in der er sie pflegte; er
gehorchte allen Launen des leidenden Kinde und hegte später, als
sie genesen war, ein Gefühl der Verehrung für sie, in welche die
Liebe in jedem Sinne sich mengte.
Hat sie dich wieder geschlagen? fragte er mit zitternder
Stimme.
Berta war beunruhigt darüber, ihn da zu treffen, und versuchte,
ihn zu Bett zu schicken.
Geh' schlafen! Das geht dich nichts an!
Doch geht es mich an. Ich will nicht, daß sie dich
schlägt … Sie hat mich durch ihr Geschrei aus dem Schlafe
geweckt … Daß sie ja nicht wieder anfange, sonst schlage ich
zu! …
Da faßte sie ihn an den Handgelenken und sprach zu ihm wie zu
einem wilden Tiere. Er unterwarf sich sogleich und stammelte mit
Tränen in den Augen:
Es tut dir weh, nicht wahr? Wo tut es dir weh? Ich will es
küssen.
Da er im Dunkel ihre Wange traf, küßte er sie, benetzte sie mit
seinen Tränen und sagte:
Es ist schon gut, es ist schon geheilt!
Herr Josserand war inzwischen allein geblieben; er ließ die
Feder sinken; sein Herz war tief bekümmert. Nach Verlauf einiger
Minuten erhob er sieh und ging leise zu den Türen, um zu horchen. Frau Josserand schnarchte. Aus
dem Zimmer seiner Töchter war kein Weinen mehr hörbar, die Wohnung
war still und dunkel. Er kehrte ein wenig erleichtert zu seinem
Schreibtisch zurück, richtete die Lampe, deren Docht schon halb
verkohlt war, und begann wieder mechanisch zu schreiben. Er merkte
gar nicht, daß zwei schwere Tränen auf die Adreßschleifen
fielen.
Kapitel 3
Als der Fisch aufgetragen ward, – Rochen mit Butter von
zweifelhafter Frische, worüber dann die alles verderbende Adele
noch eine Flut von Essig ausgoß – drangen Hortense und Berta, die
rechts und links von ihrem Onkel Bachelard saßen, in diesen, er
solle trinken. Sie schenkten ihm ein Glas Wein nach dem andern ein
und sagten immerfort:
So trinken Sie doch, es ist ja heute Ihr Geburtstag! … Auf
Ihr Wohl, Onkel!
Sie hatten ein Komplott geschlossen, ihn um zwanzig Franken
anzupumpen. Jedes Jahr übte ihre Mama die Vorsicht, sie beim
Geburtstagsfestessen neben ihren Bruder zu setzen und ihn den
beiden zu überlassen. Das war ein schweres Stück Arbeit und
erheischte die ganze Ausdauer und Findigkeit zweier Mädchen, die
von dem Verlangen nach feinen Schuhen und nach Handschuhen mit fünf
Knöpfen verzehrt wurden. Um die zwanzig Franken zu erlangen, mußten
sie den Onkel erst vollständig betrunken machen. Im Familienkreise
war er von einer ekligen Filzigkeit, draußen aber verpraßte er in
scheußlichen Schwelgereien die achtzigtausend Franken, die er in seinem
Kommissionsgeschäfte jährlich gewann. Diesen Abend war er
glücklicherweise schon halbvoll angekommen, da er den Nachmittag
bei einer Seidenfärberin in der Vorstadt Montmartre zugebracht und
dort dem Marseiller Wermut reichlich zugesprochen hatte.
Auf euer Wohl, meine Kätzchen, sagte er mit seiner groben,
schwerfälligen Stimme jedesmal, wenn er das Glas leerte.
Er war breit und stark und nahm die Mitte der Tafel ein; er war
mit Goldschmuck bedeckt und trug eine Rose im Knopfloche; das
Gesicht zeigte die Breite des schwelgerischen, ausschweifenden
Handelsmannes, der sich in allen Lastern gewälzt hat. Sein falsches
Gebiß glänzte allzu grell in seinem wüsten Gesicht, dessen große,
rote Nase unter dem weißen, kurzgeschorenen Haare glühte; von Zeit
zu Zeit fielen seine schweren Augenlider von selbst über seine
matten, trüben Augen herab. Gueulin, der Sohn einer Schwester
seiner verstorbenen Frau, bestätigte, daß der Onkel seit zehn
Jahren, seitdem nämlich seine Frau tot war, nicht mehr nüchtern
geworden.
Narziß, etwas Rochen; er ist ausgezeichnet, sagte Frau
Josserand, über die Trunkenheit ihres Bruders lächelnd, obgleich
sie innerlich davon angeekelt war.
Sie saß ihm gegenüber; zu ihrer Linken saß der kleine Gueulin,
zu ihrer Rechten ein junger Mann namens Hektor Trublot, dem sie
einige Höflichkeiten zu erwidern hatte. Gewöhnlich benutzte sie
diese Familienessen dazu, sich gewisser Einladungen zu entledigen;
so kam es, daß auch Madame Juzeur, eine im Hause wohnende Frau, zur
Tischgesellschaft gehörte. Sie saß neben Herrn Josserand. Da
übrigens der Onkel sich bei Tische sehr schlecht benahm, so daß man
nur aus Rücksicht auf seinen Reichtum ihn ertragen konnte, zeigte die Hausfrau ihn nur ihren
Intimen oder
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