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Der häusliche Herd

Der häusliche Herd

Titel: Der häusliche Herd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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trug im Knopfloche das Band der
Ehrenlegion.
    Pst, pst! Stille! flüsterten gefällige Stimmen.
    Clotilde Duverdy begann eine äußerst schwierige Nocturne von
Chopin. Sie war eine große, schöne Frau mit prächtigen, ins
Rötliche spielenden Haaren; das Gesicht war von länglicher Form,
weiß und kalt wie Schnee; die Musik allein vermochte ihre grauen
Augen zu entflammen, die Musik, die zu
einer übertriebenen Leidenschaft bei ihr geworden, für die allein
sie lebte ohne ein anderes geistiges oder leibliches Bedürfnis.
Duverdy fuhr fort, sie zu beobachten: nach den ersten Takten schon
zogen sich seine Lippen in einer nervösen Aufregung zusammen; er
hielt sich beiseite in einem Winkel des Speisesaales. Auf seinem
glattrasierten Antlitz mit dem spitzen Kinn und den argwöhnisch
blickenden Augen erschienen breite, rote Flecke, die ein leicht
erregbares, bösartiges Wesen verrieten.
    Trublot, der ihn beobachtete, sagte ruhig:
    Er ist kein Musikfreund.
    Ganz wie ich.
    Bei Ihnen hat es weniger zu bedeuten. Er ist ein Mann, der stets
vom Glück begünstigt war. Nicht als ob er die anderen an
Fähigkeiten übertreffe – nein; aber er wurde von aller Welt
unterstützt. Er stammt aus einer alten Bürgerfamilie; sein Vater
war Gerichtspräsident. Er selbst widmete sich seit seinem Abgang
von der Hochschule der richterlichen Laufbahn; später ward er
Aushilfsrichter in Reims, dann Richter am Gerichtshofe erster
Instanz in Paris, endlich Rat am Berufungshofe, ein Mann, der noch
nicht 45 Jahre zählt… Das »gibt aus«, wie? Aber er ist kein
Musikfreund; das Klavier ist die Bitternis seines Lebens!… Man kann
nicht alles haben.
    Inzwischen bewältigte Clotilde die Schwierigkeiten des
Musikstückes mit außerordentlicher Kaltblütigkeit. Sie war an ihrem
Flügel so sicher wie eine Kunstreiterin auf ihrem Pferde. Octave
interessierte sich für die glänzende Leistung ihrer Hände.
    Schauen Sie doch auf ihre Finger! rief er. Das ist erstaunlich!
Nach einer Viertelstunde muß sie ordentlich müde sein.
    Dann plauderten beide über die Frauen, ohne sich weiter um die Musik zu kümmern. Octave bemerkte
Valerie und geriet in Verlegenheit. Wie sollte er sich ihr
gegenüber benehmen? Sollte er sie ansprechen oder tun, als ob er
sie nicht sehe? Trublot tat sehr geringschätzig; keine einzige der
anwesenden Frauen gefiel ihm, und da sein Gefährte widersprach und
umherblickend versicherte, es seien mehrere da, mit denen man
durchaus zufrieden sein könne, erwiderte jener in belehrendem
Tone:
    Wählen Sie nur! Wenn Sie der Sache auf den Grund sehen, werden
Sie enttäuscht sein… Mir gefällt weder die mit dem Federschmuck da
unten, noch jene Blonde in dem malvenfarbenen Kleide, noch endlich
diese Alte, obgleich die wenigstens fett ist … Ich sage Ihnen,
mein Lieber: suchen Sie nicht in der guten Gesellschaft. Schöne
Manieren, aber wenig Vergnügen!
    Octave lächelte. Er mußte sich eine Stellung schaffen und durfte
nicht ausschließlich seinem Geschmack folgen wie Trublot, der einen
reichen Vater hatte. Er verfiel in ein träumerisches Sinnen beim
Anblick dieser mehrfachen Reihen von Frauen; er fragte sich, welche
er wählen würde im Hinblick auf sein Glück und auf sein Vergnügen,
wenn die Herren des Hauses ihn eine wählen ließen. Nachdem er eine
nach der andern gleichsam mit den Blicken gewogen hatte, rief er
plötzlich erstaunt aus:
    Schau, meine Gebieterin! Kommt die auch hierher?
    Sie wußten das nicht? sagte Trublot. Frau Hédouin und Frau
Duverdy sind trotz des Altersunterschiedes Freundinnen aus dem
Pensionat. Sie verließen einander niemals; man nannte sie die
Eisbären, weil ihr Empfinden immer zwanzig Grad unter Null war. Das
sind auch solche Weiber, die zum Vergnügen gut sind!… Wenn Duverdy
im Winter keinen andern Bettwärmer hat…
    Octave aber war jetzt ernst geworden. Zum ersten
Male sah er Frau Hédouin in Abendtoilette,
Nacken, Schultern und Hals entblößt, die schwarzen Haarflechten
über die Stirne gelegt. Bei der grellen Beleuchtung erschien sie
ihm wie die Verwirklichung seiner leidenschaftlichen Wünsche: Ein
herrliches Weib voll strotzender Gesundheit und ruhiger Schönheit,
die für einen Mann ein vollständiger Gewinn sein mußte. Bunte Pläne
begannen ihn zu beschäftigen, als ein Lärm ihn aus seiner Träumerei
aufschreckte.
    Paff! Aus ist's! sagte Trublot.
    Clotilde ward von allen Seiten beglückwünscht. Frau Josserand
war sogleich auf sie losgestürzt, um ihr beide Hände zu

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