Der häusliche Herd
noch Zeit, in der Sache etwas zu tun; wir werden
über die Sache reden und werden schließlich den Onkel dennoch
bewegen … Merke es dir: In unserer Familie hat es allezeit nur
rechtschaffene Leute gegeben!
Kapitel 6
Am folgenden Morgen – einem Sonntage – gönnte sich Octave eine
Stunde länger im warmen Bette. Er war wohlgemut erwacht und sagte
sich: wozu denn heute sich sputen? Er befand sich übrigens wohl in
diesem Geschäfte »Zum Paradies der Damen«; er streifte dort seine
provinziellen Manieren ab und kam immer mehr zur Überzeugung, daß
er eines Tages Frau Hédouin besitzen werde, die sein Glück machen
sollte; doch war es ein Werk, das große Klugheit, ein ganzes
taktisches System von Galanterie erheische, in dem sein
wollüstiger, weibischer Sinn sich schon jetzt gefiel.
Er schlummerte langsam wieder ein unter fortwährendem
Pläneschmieden; sechs Monate setzte er sich als Termin für sein
Eroberungswerk. Mittlerweile hatte er ja Marie Pichon, diese leicht
zugängliche Frau. Er brauchte ja nur die Hand auszustrecken, wenn
er sie wollte, und sie kostete ihm keinen Sou. Während er auf die
andere wartete, konnte er sich nichts Besseres wünschen; diese
Wohlfeilheit und Bequemlichkeit rührten ihn in seinem
Halbschlummer; er fand sie sehr artig und
faßte den Vorsatz, künftig freundlicher mit ihr zu sein.
Alle Wetter, neun Uhr! rief er auffahrend, durch die Schläge der
Uhr völlig erweckt. Man muß ja schließlich aufstehen.
Draußen fiel ein feiner Regen. Er entschloß sich, tagsüber zu
Hause zu bleiben. Er wollte die Einladung der Pichons zum Essen
heute annehmen, nachdem er sie wegen der alten Vuillaumes schon
wiederholt zurückgewiesen. Marie werde sich dadurch sehr
geschmeichelt fühlen, und er Gelegenheit finden, sie hinter den
Türen verstohlen zu küssen; da sie von ihm immer Bücher verlangte,
beschloß er, ihr einen ganzen Stoß Bücher zu bringen, die er in
seinem Koffer hatte, der auf dem Dachboden oben stand. Als er
angekleidet war, ging er hinab, um vom Hausmeister den Schlüssel
des gemeinsamen Dachbodens zu holen, wo die Mieter des Hauses
verschiedene, außer Gebrauch stehende Gegenstände, die ihnen in der
Wohnung den Raum verlegt haben würden, in Verwahrung hielten.
An diesem feuchten Morgen erstickte man schier unten in dem
geheizten Stiegenhause, dessen Wände von unechtem Marmor, dessen
hohe Spiegel und Mahagonitüren mit einer Dunstschicht belegt waren.
Die Mutter Pérou, ein schlecht gekleidetes, altes, armes Weib, das
für vier Sous die Stunde statt der Gourdschen Eheleute die schweren
Arbeiten verrichtete, war unter der Toreinfahrt damit beschäftigt,
das Pflaster zu scheuern, wobei sie von der Hofseite her einem
schneidenden Luftzuge ausgesetzt war.
He, Sie Alte! Reiben Sie besser, daß ich ja kein Fleckchen
entdecke! rief Herr Gourd, der in warme Kleider gehüllt, auf der
Schwelle seiner Loge stand.
Dann wandte er sich zu dem näher tretenden Octave und ließ sich
mit der Roheit eines ehemaligen Bedienten, der jetzt seinerseits bedient sein will, über Frau
Pérou aus.
Sie ist ein Taugenichts, ganz und gar nicht zu verwenden! Die
hätte ich im Hause des Herrn Herzog sehen mögen! Ich bin auch
entschlossen, sie hinauszuwerfen, wenn sie ihr Geld nicht besser
verdient. Da bin ich gleich dabei! … Doch Verzeihung! Was
wünschen Sie, Herr Mouret?
Octave verlangte den Schlüssel. Ohne sich sonderlich zu beeilen,
fuhr Herr Gourd fort, ihm zu erzählen, daß sie – er und Frau Gourd
– wenn sie wollten, ganz ruhig als anständige Bürgersleute in ihrem
Häuschen zu Mort-la-Ville leben könnten; allein Frau Gourd wohne
gar so gern in Paris trotz ihrer geschwollenen Beine, die sie
verhinderten, auch nur bis zum Fußsteige zu gehen; sie warteten
nur, bis sie eine ausreichende Rente zusammenbringen, um sich dann
zurückzuziehen, was sie übrigens nur mit schwerem Herzen tun
würden.
Ich arbeite nicht mehr um den Bissen Brot, schloß er, und lasse
mir keinerlei Verdruß gefallen … Sie wünschen den
Dachbodenschlüssel, nicht wahr, Herr Mouret? Wo haben wir den
Dachbodenschlüssel hingetan, meine Liebe?
Frau Gourd saß träge am Kamin, in dem ein lustiges Feuer
prasselte, und trank ihren Milchkaffee aus einer Silbertasse. Sie
wußte nicht, wo der Schlüssel sei; vielleicht in der Schublade. Sie
tunkte ruhig ihre gerösteten Brötchen in den Kaffee und ließ kein
Auge von der Tür der hinteren Treppe am andern Ende des Hofes, der
bei dem regnerischen Wetter ein
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