Der häusliche Herd
Klavier,
ihr Blick beherrschte alle Sänger, die Stimmen besänftigten sich
allmählich und milderten sich bis zum Geflüster: »Um Mitternacht:
Nur sacht'! nur sacht'!« Endlich sang das Klavier allein, sie
dämpfte die Saiten und ließ die gleichmäßigen, sich entfernenden
Schritte einer Scharwache vernehmen.
Da, mitten in dieser leise verhallenden Musik, in dieser
Besänftigung nach so vielem Getöse, hörte man plötzlich eine Stimme
sagen:
Aber, Sie tun mir weh!
Abermals wandten alle Köpfe sich dem Fenster zu. Frau
Dambreville wollte sich nützlich machen und hob den Vorhang. Und
der ganze Salon sah den höchlich verwirrten August und Berta, die
sehr rot geworden war; so standen beide an das Fenstergesims
gelehnt.
Was geht denn vor, mein Kind? fragte Frau Josserand im Tone der
Besorgnis.
Nichts, Mama … Herr August hat mir von ungefähr den Arm an
das Fenster gedrückt … Es ist so heiß …
Sie errötete noch mehr. Viele in der Gesellschaft lächelten, man
war offenbar unangenehm berührt. Frau Duverdy, die seit Monaten
bemüht war, ihren Bruder von Berta fernzuhalten, war bleich vor
Überraschung und Verdruß, um so mehr als der Zwischenfall die
Wirkung des Chors beeinträchtigte. Indes brach nach dem ersten
Augenblick der Überraschung der Beifall
los, und die Hausfrau ebenso wie die Sänger wurden zu dieser
Leistung von allen Seiten lebhaft beglückwünscht. Wie schön ist
gesungen worden! Wie viel Mühe mußte Frau Duverdy gehabt haben, um
den Chor so einzustudieren! Wahrhaftig, im Theater könnte die Sache
nicht besser gemacht werden! Doch die Hausfrau merkte, daß trotz
dieser Lobeserhebungen der Zwischenfall im Saale lebhaft besprochen
wurde: das Mädchen ist zu sehr bloßgestellt, die Ehe ist
unvermeidlich.
Hehe! Eingefädelt! sagte Trublot zu Octave. So ein Gimpel! Warum
sollte er sie denn nicht gekneipt haben, während wir
brüllten? … Ich dachte mir gleich, er werde die Lage
ausnützen! … Sie wissen: in den Salons, wo gesungen wird, kann
man dergleichen schon wagen … Wenn die Dame schreit, so macht
man sich nichts daraus. Es hört's ja niemand.
Berta hatte mittlerweile ihr Lächeln wiedergefunden, während
Hortense mit der verdrossenen Miene einer »Diplomierten« August
betrachtete. In dem Triumph, den die beiden Mädchen zur Schau
trugen, sah man deutlich die Wirkung der Lehren ihrer Mutter: die
Verachtung gegen den Mann.
Die Gäste strömten jetzt sämtlich nach dem Salon, mischten sich
unter die Damen und unterhielten sich mit lauter Stimme. Herr
Josserand, erregt durch den Zwischenfall mit seiner Tochter,
näherte sich seiner Gattin. Er hörte mit Verdruß, wie Frau
Josserand sich eben bei Frau Dambreville für die viele Güte
bedankte, mit der diese ihren Sohn Leo behandelte, den sie ganz
entschieden zu seinem Vorteil umgewandelt habe. Noch verdrossener
ward er, als er hörte, wie seine Gattin sich über Berta äußerte.
Sie tat, als ob sie leise zu Frau Juzeur redete; im Grunde
aber sprach sie mehr für Valerie und Frau
Duverdy, die neben ihr standen.
Mein Gott, ja! Ihr Oheim hat uns erst heute wieder geschrieben,
daß Berta von ihm fünfzigtausend Franken erhalten werde. Es ist das
nicht übermäßig viel, aber sicher angelegt!
Diese Lüge empörte ihn. Er konnte nicht umhin, sie unbemerkt auf
die Schulter zu tippen. Sie schaute ihn an und nötigte ihn, die
Augen niederzuschlagen vor dem entschlossenen Ausdruck ihres
Gesichtes. Als Frau Duverdy sich in besserer Stimmung zu ihr
wandte, erkundigte sich Frau Josserand angelegentlich nach ihrem
Vater.
Papa muß schon zu Bett gegangen sein, erwiderte die junge Frau
freundlich; er arbeitet soviel!
Herr Josstrand bestätigte, daß Herr Vabre sich zurückgezogen
habe, um am folgenden Tage einen klaren Kopf zu haben, und fügte
stammelnd hinzu: Ein merkwürdiger Geist! Seltene Fähigkeiten! Dabei
fragte er sich im Stillen, woher er diese Mitgift für Berta nehmen
solle, und welche Figur er spielen werde, wenn der Ehekontrakt
unterschrieben werden solle?
Jetzt wurden im Saale die Sessel geräuschvoll zurückgeschoben.
Die Damen begaben sich in den Speisesaal, wo der Tee angerichtet
war. Frau Josserand ging triumphierend ebenfalls hinüber, umgeben
von ihren Töchtern und der ganzen Familie Vabre. Inmitten der
umherstehenden leeren Sessel stand nur noch eine Gruppe ernster
Männer. Campardon hatte sich des Abbé Mauduit bemächtigt: es
handelte sich um bedeutende Ausbesserungsarbeiten an der Kaivaria
der Rochuskirche. Der
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