Der häusliche Herd
den Arm, oder du sagst mir, wer dir den Brief
geschrieben hat!
Die erschrockene junge Frau unterdrückte einen Schmerzensschrei,
wurde aber ganz bleich. Campardon fühlte, wie sie auf seine
Schulter sank, überwältigt von einem jener nervösen Anfälle, die
sie Stunden hindurch einer tödlichen Ohnmacht preisgaben. Er hatte
kaum Zeit, sie in das für die beiden Familien bestimmte Gemach zu
bringen, wo er sie auf das Sofa legte. Einige Damen waren ihm
gefolgt; Frau Juzeur und Frau Dambreville schnürten sie auf,
während er sich anstandshalber zurückzog.
Es hatten indes höchstens drei oder vier Personen im Salon
diesen kurzen, aber heftigen Auftritt bemerkt. Frau Josserand und
Frau Duverdy fuhren fort, die Gäste zu empfangen, deren Gewoge das
geräumige Gemach nach und nach mit weißen Toiletten und schwarzen
Fräcken füllte. Ein Gemurmel von Liebenswürdigkeiten, beifällig
lächelnde Gesichter umgaben fortwährend Berta in ihrem weißen
Kleide; dicke Väter und Mütter, Mädchen mit hagerem Gesicht, zarte,
mitfühlende Köpfchen junger Frauen.
Ich bitte Sie um Verzeihung, mein Herr, sagte Theophil zu
Octave, dessen Blicken er begegnet war, als er seiner Frau den Arm
preßte. Jeder andere an meiner Stelle würde Sie verdächtigt haben;
das sehen Sie doch wohl selber ein? Ich aber will Ihnen gerne
freundschaftlich die Hand reichen, um
Ihnen zu beweisen, daß ich meinen Irrtum eingesehen habe.
Er drückte ihm die Hand, nahm ihn auf die Seite, gequält von
einem Bedürfnisse, sein Herz auszuschütten, von der Not nach einem
treuen Herzen, um sein eigenes darin zu ergießen.
Ach, mein Herr, wenn Sie wüßten!
Er fing an, weitläufig von seiner Frau zu sprechen. Als junges
Mädchen sei sie schwächlich gewesen. Die Heirat, hieß es
scherzweise, werde sie herstellen. Die freie Luft ging ihr ab in
dem Laden ihrer Eltern, wo er sie drei Monate hindurch jeden Abend
besucht und sie sehr sanft, gehorsam, von trauriger, aber
liebenswürdiger Gemütsart gefunden hatte.
Die Heirat hat sie indes durchaus nicht hergestellt. Schon nach
einigen Wochen war sie schrecklich; wir konnten uns nicht mehr
verstehen. Streitigkeiten um nichts und wieder nichts. Jeden
Augenblick eine andere Laune; bald lachte sie, bald weinte sie,
ohne daß ich erfahren konnte, worüber. Abgeschmackte Ansichten,
Einfälle zum Verrücktwerden, ein ewiges Jucken, jedermann wütend zu
machen … Kurz, mein Herr, unser Haushalt ist zur Hölle für uns
geworden.
Das ist recht sonderbar, sagte Octave, der die Notwendigkeit
fühlte, etwas zu sagen.
Totenblaß richtete sich der Gatte auf seinen kurzen Beinen so
hoch auf, wie er nur konnte, um sein lächerliches Wesen zu decken,
und kam zur Erzählung dessen, was er das schlechte Betragen dieser
Unglücklichen nannte. Zweimal habe er gegen sie Verdacht geschöpft;
er sei jedoch zu ehrbar, als daß ein solcher Gedanke ihm in den
Kopf kommen könne. Diesmal jedoch, angesichts der Beweise, müsse er
endlich auftreten. Unmöglich könne er noch länger zweifeln; sei dem nicht so? Und er betastete
mit zitternden Fingern seine Westentasche, wo sich der Brief
befand.
Wenn sie es noch für Geld täte, könnte ich mir's erklären, fügte
er hinzu; aber man gibt ihr doch keines, ich bin davon überzeugt,
da ich's sonst erfahren würde … Sagen Sie mir also, was ihr in
der Haut stecken mag? Ich bin sehr höflich, sie hat alles im Hause,
ich begreife sie nicht … Wenn Sie es wissen, mein Herr, bitte
ich Sie, mir es zu sagen.
Das ist höchst sonderbar, höchst eigentümlich, sagte Octave
wiederholt, dem diese vertraulichen Mitteilungen lästig waren, und
der loszukommen suchte.
Der gekränkte Gatte ließ ihn jedoch nicht mehr los; das
Bedürfnis nach Gewißheit hatte ihn in eine fieberhafte Gärung
versetzt. In diesem Augenblicke kam Frau Juzeur wieder herein, ging
auf Frau Josserand zu, der sie etwas ins Ohr flüsterte. Letztere
grüßte mit einer tiefen Verbeugung einen eintretenden Juwelier vom
Königspalast und eilte dann der erstem nach, indem sie mit dem
Rücken gegen die Türe gekehrt sich rasch entfernte.
Ich glaube, daß Ihre Frau einen heftigen Anfall hat, bemerkte
Octave zu Theophil gewendet.
Meinetwegen! antwortete der letztere wütend, erbittert darüber,
daß er nicht krank war, damit man auch ihn pflegen könne. Sie ist
recht froh über einen solchen Anfall. Das bringt die Leute auf ihre
Seite … Ich befinde mich nicht besser als sie und habe sie
doch nicht hintergangen.
Frau Josserand kam
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