Der Hagestolz
Angesicht blühte in fast mädchenhafter Unschuld, es war voll Lebenslust und Kraft, die einfärbigen dunkeln Haare lagen gut geordnet um dasselbe, und in seinem Anzuge war er so rein, als wäre derselbe in diesem Augenblike von liebreichen Mutterhänden besorgt worden.
Er blieb, wie er in das Zimmer getreten war, stehen, und sah dem Oheime zu. Dieser aber fuhr in seinem Geschäfte fort, als wenn gar niemand zugegen wäre. Er mußte es schon sehr lange nicht verrichtet haben, und heute bei Anbruch des Tages daran gegangen sein; denn es war bereits eine ziemliche Zahl Vögel gepuzt, und die andern standen noch ganz grau vom Staube hinter ihren Gläsern. Die alte Frau, welche vorhin an Victor vorüber gegangen war ohne ihn anzureden, brachte jezt auf einem Brette ein Frühstük herein und sezte es ebenfalls schweigend auf den Tisch. Victor schloß, daß es für ihn sei, da es eben bei seinem Erscheinen gebracht worden war. Er sezte sich daher dazu, und verzehrte davon so viel, als er Morgens zu essen gewohnt war; denn es stand auf dem Brette weit mehr, als er bedurfte. Es war ein Frühmal, wie es in England gebräuchlich ist, von Thee und Kaffeh angefangen bis zu Eiern, Käse, Schinken und kaltem Rindsbraten. Der Spiz hatte es hiebei am besten; denn Victor gab ihm so viel, als er vielleicht niemals zu seinem Morgenmale bekommen hatte.
»Hast du schon Wasser in den Trog gegossen?« fragte der Oheim.
»Nein,« entgegnete Victor, »ich vergaß es in dem Augenblike,
aber ich thue es gleich.«
Wirklich hatte der Jüngling im Anschauen seines Oheims auf den Wunsch desselben vergessen. Er nahm daher den großen gläsernen Krug, der mit demselben herrlichen Quellwasser wie gestern auf dem Tische stand, und goß davon einen Theil in einen kleinen hölzernen wohlgebohnten Trog, der an der Wand neben der Thür stand. Nachdem der Spiz getrunken hatte, ging der Oheim von seinem Geschäfte weg und rief seine Hunde zu dem Wasser; da aber keiner Lust bezeigte, weil sie wahrscheinlich ohnehin schon getränkt waren, so drükte der Oheim an einem Stabe, der von der Wand des Troges empor stand, nieder, worauf sich im Boden des Gefäßes eine metallene Platte öffnete und die Flüssigkeit abrinnen ließ. Victor lächelte fast über diese Einrichtung; denn zu Hause bei ihm war das alles einfacher und freundlicher: der Spiz war in freier Luft, er trank am Bache und verzehrte sein Essen unter dem Apfelbaume.
»Ich zeige dir vielleicht einmal das Bildniß deines Vaters,« sagte der Oheim, »daß du siehst, wie ich dich gleich erkannte.«
Nach diesen Worten stieg der alte Mann wieder auf die Leiter, und nahm einen neuen Vogel heraus. Victor stand immer in dem Zimmer und wartete, daß der Oheim mit ihm über die Angelegenheit seiner Herreise zu sprechen beginnen werde. Aber dieser that es nicht, und puzte stets an seinen Vögeln fort. Nach einer Weile sagte er: »das Mittagmal ist genau um zwei Uhr. Stelle deine Uhr nach dieser dort, und komme darnach.«
Victor erstaunte und fragte: »Ihr werdet mich also vor dieser Zeit gar nicht mehr zu sprechen verlangen?«
»Nein,« antwortete der Oheim.
»So will ich hinaus gehen, um euch in eurer Zeitverwendung nicht zu stören, und will den See, die Berge und die Insel betrachten.«
»Thue, was dir immer gefällt,« sagte der Oheim.
Victor ging eilig hinaus, allein er fand die Thür der hölzernen Treppe verschlossen. Daher ging er wieder zu dem Oheime zurük, und bath, daß er möchte öffnen lassen.
»Ich werde dir selber aufmachen,« sagte dieser.
Er stellte seinen Vogel hin, ging mit Victor hinaus, zog einen Schlüssel aus seinem grauen Roke, und schloß damit die Thür der Holztreppe auf, die er hinter dem Jünglinge sogleich wieder versperrte.
Dieser lief die Treppe auf den Sandplaz hinab. Da hier die Fluth des Lichtes seinen erfreuten Augen entgegen schlug, wendete er sich ein wenig um, um das Haus von außen zu betrachten. Es war ein festes dunkles Gebäude mit dem einzigen Geschoße, in welchem er die heutige Nacht geschlafen hatte. An den offenen Fenstern erkannte er seine Zimmer. Denn alle andern waren zu, und prangten vielfach mit den schönen Farben der Verwitterung. Sie standen sämmtlich hinter festen starken Eisengittern. Das Hauptthor war verrammelt, und die hölzerne überdekte Treppe zu dem Sandplaze herab schien der einzige Eingang zu sein. Wie war das anders, als zu Hause, wo Fenster an Fenster offen stand, weiße sanfte Vorhänge wehten, und man von dem Garten aus das
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