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Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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nicht an, daß ich noch länger fehle. Ich weiß genau, daß es mit der Vertretung vorn und hinten nicht klappt, schließlich sollen meine Schüler nicht darunter leiden, daß ich depressiv bin.«
    Eigentlich hatte ich bei unseren Treffen nichts von einer Depression gemerkt.
    »Also müssen Sie sich jetzt auf den Unterricht vorbereiten?« fragte ich zaghaft.
    »Das natürlich auch. Aber der Garten ist in traurigem Zustand, die Schnecken haben fast alles weggefressen. Ab Montag kommt eine jugoslawische Putzfrau, die mir Freunde vermittelt haben. Aber bevor die überhaupt anfangen kann, muß ich gründlich aufräumen und mich auch mit der Waschmaschine auseinandersetzen.«
    Beate würde jetzt spontan ihre Hilfe anbieten. Ich mußte meine Verklemmtheit überwinden und etwas in diesem Sinne sagen. Ich vermied es, ihn mit »du« oder »Sie« anzusprechen.
    »Am Wochenende habe ich ausnahmsweise nichts vor, ich könnte kommen und helfen. Waschen und bügeln kann ich schließlich auch, im Garten könnte ich fürs Grobe angestellt werden, und zwischendurch kann ich Kaffee kochen und Kuchen holen.«
    Von Kochen sagte ich vorsichtshalber nichts.
    »Ein liebenswürdiges Angebot. Aber beim Aufräumen kann mir eigentlich niemand helfen, das muß man schon selber machen. Die Waschmaschine kann ich auch allein füllen, Montag wird die Jugoslawin bügeln. Außerdem erwarte ich am Sonntag Besuch, da bin ich voll ausgebucht. Also herzlichen Dank, Thyra, das war eine liebe Idee. Vielleicht komme ich ein andermal darauf zurück.«
    Ich bat ihn, sich zu melden, sobald er mich brauchen könne. Unter belanglos freundlicher Konversation verabschiedeten wir uns, ohne irgendein Treffen vereinbart zu haben.
    Ich warf vor Wut ein Sofakissen auf den Boden. Der Dieskau fühlte sich angesprochen, kroch herbei und bat um Verzeihung, als sei er an allem schuld. Ich streichelte ihn ein wenig und redete auf ihn ein: »Ach Dieskau, einmal im Leben will ich etwas haben! Koste es, was es wolle, ich will diesen Mann! Aber es ist so schwer, ich weiß nicht, wie man so etwas anstellt.«
    Ich heulte, der Hund legte seine Schnauze auf mein Knie und sah mich unendlich melancholisch an. Er war ein Wunder an Empathie.
    Wer mochte nur Witolds Besuch am Sonntag sein, etwa Beate?
    Der Sonntag verging sehr trist. Ich stellte mir vor, wie Beate in ihrer flinken Art bei Witold Gemütlichkeit herbeizauberte, kochte und lachte. Die beiden passen zueinander, dämmerte es mir; Kunst, Literatur, Musik - davon hatte Beate viel Ahnung, ich dagegen gar nicht. Sie werden den ganzen Tag zusammen Spaß haben... Und am Abend? Ob sie dann Sekt tranken und ins Bett gingen? Ich wurde fast verrückt bei diesen Vorstellungen und rief am späten Nachmittag bei Beate an.
    Lessi meldete sich. »Meine Mutter ist nicht da«, teilte sie mir lakonisch mit.
    Wo sie denn sei, wollte ich wissen.
    »Vivian und Richard sind gestern für ein paar Tage nach London gefahren, da hat sie heute kein Familienessen gekocht, denn ich zähle anscheinend nicht«, klagte die infantile Lenore. »Ich weiß übrigens nicht, wo sie ist, vielleicht ist sie in ein Konzert gegangen.«
    Ich legte auf. Die Sache war bitter, aber klar: Beate lag jetzt mit Witold im Bett, dabei hatte sie doch schon morgen wieder den Jürgen. Warum bekamen andere Frauen alles und ich nichts? Sollte ich sie zur Rede stellen?
    Um elf Uhr abends ging das Telefon. Beate sagte: »Lessi hat mir gesagt, daß du angerufen hast. Die dumme Gans, ich hatte ihr genau erklärt, wo ich hingehe. Wie so oft, hat sie gar nicht hingehört.«
    »Na, und wo warst du?«
    »In Frankfurt, hab’ mir eine tolle Kandinsky-Ausstellung angesehen und bin dann mit einer Freundin türkisch essen gegangen. Es war richtig schön.«
    Ob sie so routiniert log? Aber warum sollte sie überhaupt? Sie hatte gar keinen Grund, mir irgend etwas über ihre Beziehung zu Witold vorzuenthalten, denn sie ahnte ja gar nicht, daß er mir gehörte. Vielleicht hatte sie jedoch ein schlechtes Gewissen, daß sie ihren Jürgen betrog; aber das brauchte sie bei einem verheirateten Liebhaber wiederum nicht zu haben. Voller Zweifel legte ich mich ins Bett.
    An einem der nächsten Abende schlich ich mich wieder im Dunkeln durch Witolds Garten. Es war jetzt bereits um neun Uhr finster, und ich hatte Vorsichtsmaßnahmen getroffen, daß er mich nicht entdecken konnte - schwarze Einbrecherkleidung.
    Er saß wie damals, als ich ihn zum ersten Mal beobachtet hatte, am Schreibtisch und schrieb. Ich

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