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Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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waren ein wenig befangen.
    »Liegt die Waffe im Vater Rhein?« wollte er plötzlich wissen.
    Nein, das tat sie nicht, aber ich antwortete: »Ja, natürlich, schon seit Wochen!«
    Er sollte sich bloß nicht über mich aufregen, ich hatte den Revolver zwar nicht vergessen, aber den Auftrag noch nicht ausgeführt, weiß der Himmel, warum.
    Das Essen war mir sogar gelungen. Witold lobte es mit beleidigender Höflichkeit, aß allerdings wenig und trank auch nicht viel. Die zauberische Stimmung damals bei Handkäs und Apfelwein kam nicht wieder auf, es war alles ein wenig künstlich.
    Ich versuchte, Charme zu produzieren, berührte ihn beim Sprechen einmal am Arm, so wie ich das bei anderen Frauen beobachtet hatte, war aber sehr verkrampft. Nach dem Essen saßen wir auf meinen zugegebenermaßen ungemütlichen Sesseln, und ich wollte Sekt aufmachen. Witold wehrte ab. Er habe zum Essen ja schon Wein getrunken und vorher den Sherry, schließlich müsse er noch heimfahren. Außerdem sei morgen erst Freitag und für ihn fast der härteste Tag.
    »Seien Sie mir nicht böse, wenn ich aus diesem Grund nicht allzu lange bleiben kann.«
    »Auf der Kirmes haben wir >du< zueinander gesagt«, entfuhr es mir, zu meinem Leidwesen in einem gekränkten Unterton.
    »Richtig!« rief Witold mit unaufrichtiger Fröhlichkeit, »gut, daß du mich daran erinnerst! Also, trinken wir ein zweites Mal Bruderschaft!«
    Er hob sein Glas mit dem Rest Weißwein, das er vom Eßtisch mitgenommen hatte, und sagte: »Thyra!«
    Todesmutig hielt ich ihm das Gesicht entgegen. Ich spürte eine flüchtige Berührung auf der Wange, das war’s dann auch.
    Witold plauderte noch eine Viertelstunde, erzählte von seinen Söhnen und der Schule; um halb elf war er weg, nicht ohne das »exquisite und deliziöse Mahl« abermals gelobt zu haben, ohne neue Verabredung, ohne mir die Möglichkeit gegeben zu haben, ihm etwas näherzukommen. Von Verführung ganz zu schweigen.

 
4
     
    T rotz seiner fünfundfünfzig Jahre war der Chef immer noch ein häßlicher Mann. Er lagerte mit halbem Gesäß auf meinem Schreibtisch, was ich nicht ausstehen konnte, auch der Dieskau ließ seinen milden Bariton warnend vernehmen. Der Chef lachte aber darüber.
    »Frau Hirte, in letzter Zeit werden Sie immer jünger, das ist wirklich ein Phänomen!«
    Ich wartete, welche Sonderaufträge er für mich hatte.
    »Wann kommt Frau Römer eigentlich aus der Kur zurück?« wollte er wissen.
    »Übermorgen. Ich hole sie von der Bahn ab und bringe sie heim; natürlich will sie ihren Dieskau gleich zurückhaben.«
    »Ich glaube«, überlegte der Chef, »daß Frau Römer gar nicht wieder arbeiten wird, sondern sich berenten läßt. Nach dieser schweren Operation bekommt sie bestimmt eine Rente auf zwei Jahre, und dann hat sie die Altersgrenze sowieso erreicht. Ich denke, sie wird nicht mehr zurückkommen. Ich wollte Sie fragen, ob Sie dieses Zimmer übernehmen möchten?«
    Ich freute mich, denn es war der intimste und abgelegenste Raum, man hatte darin völlig seine Ruhe und einen schönen Blick in eine Kastanie.
    »Außerdem sollten Sie Urlaub machen, solange man noch irgendwo Sonne tanken kann«, fuhr er fort. Er meinte es gut, aber mir war nicht so recht nach Urlaub zumute.
    Immerhin, der Chef machte sich Gedanken über mich.
    Am gleichen Tag erreichte mich abends ein Anruf - es war mein früherer Berliner Freund Hartmut. Er war etwas verlegen und meinte, er sei auf der Durchreise, und wir hätten uns ja fast ein Vierteljahrhundert nicht gesehen, ob er mich zum Essen einladen dürfe. Ich war platt. Es kam sehr plötzlich, ich war eigentlich müde. Andererseits siegte dann die Neugierde, obgleich ich mir vorgenommen hatte, diesen Menschen nie wieder zu sehen. Hartmut entschuldigte sich höflich, daß er mich nicht abholen könne, er sei ohne Auto in Westdeutschland.
    Eine Stunde später saß ich im Samtrock und der heraldischen Bluse in einem Nobelrestaurant und betrachtete meinen ehemaligen Freund. Ich hätte ihn nie wiedererkannt. Hartmut war zwar früher auch nicht besonders schön gewesen - er litt unter Akne -, aber er war schmal und groß und hatte ein sehr ebenmäßiges Gesicht. Groß war er zwar geblieben, doch die Gestalt war jetzt über jeden Verdacht der Unterernährung erhaben. Das ebenmäßige Gesicht war feist, rot, schwitzig und unangenehm. Mein Gott, wenn ich mit dem verheiratet wäre! dachte ich entsetzt. Eigentlich war es ein Glück, daß ich davon verschont geblieben war und jetzt

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