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Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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liebte ihn so sehr, diesen schönen und klugen Mann, der so einsam und konzentriert arbeitete. Mindestens eine Stunde lang stand ich im nächtlichen Garten, bis ich mich leise wieder davonmachte. Der Zaun war noch genauso lose wie damals, Witold hatte es nicht für nötig befunden, ihn zu reparieren.
    Es war wie eine Sucht. Ich fuhr jetzt fast jeden Tag wieder nach Ladenburg, obgleich es sicher nicht ungefährlich war und die Nachbarn alle wieder vom Urlaub zurück waren. Witold war immer allein. So gern wäre ich durch die Balkontür getreten oder hätte vorn an der Haustür geschellt. Aber wir hatten verabredet, daß er sich melden sollte.
    Eines Abends sah ich einen zweiten Wagen vor seinem Haus stehen. Es war der von Beate. Also doch! Mir wurde ganz übel.
    Ich hatte alles falsch gemacht, ich hätte ihn anrufen sollen, ihn besuchen, ihm schreiben - was hätte ich schon dabei riskiert! Jetzt schnappte sich Beate meine Beute, weil ich zu lange gewartet hatte.
    Ich kroch in den Garten. Im Wohnzimmer war niemand. Lange wartete ich. Küche oder Bett, war jetzt nur noch die Frage. Schließlich wurde es mir zu kalt, zitternd und durchgefroren fuhr ich heim, genauso wie an jenem Abend, als Witolds Frau starb.
    Nach deprimierten Tagen beschloß ich, nicht aufzugeben, zu kämpfen. Ich rief Witold an und lud ihn einfach zu mir ein. Er könne am Wochenende nicht, bedauerte er. Ich bot ihm andere Termine an, und er versprach endlich, an einem Donnerstag zu kommen.
    Jetzt mußte ich aufs Ganze gehen. Ich hatte noch vier Tage Zeit. Ich legte mir eine Liste an: Ich mußte es hinkriegen, an diesem Abend eine zauberhafte, urgemütliche Atmosphäre zu schaffen, ich mußte atemberaubend jung und schön aussehen, charmant und geistreich plaudern und darüber hinaus ein köstliches, aber scheinbar mühelos bereitetes Essen auf den Tisch stellen. Überhaupt mußte alles so wirken, als sei es nicht extra für ihn arrangiert, sondern als sei es bei mir immer wie im Paradies. Ich lief zur Kosmetikerin, kaufte mir einen weinroten Samtrock und eine heraldisch gemusterte Bluse aus Crepe de Chine. Ich besorgte Kerzen, Sekt, eine neue Tischdecke, Parfüm.
    Aber am meisten grübelte ich in langen Bürostunden über das Essen. Beate konnte ich nicht gut um Rat fragen; die hätte sofort einen idiotensicheren Vorschlag parat gehabt. Ich beschloß, ein Lachssteak zu braten - das ging schnell und mußte mir gelingen. Dazu grüne Nudeln, eine Butter-EstragonSauce und Salat. Die Soße bereitete ich versuchsweise schon zwei Tage vorher, und es klappte auch. Mein Gott, war ich aufgeregt.
    Donnerstag kurz vor acht, ein letzter Blick in den Spiegel. Viel zu fein! dachte ich plötzlich. Es soll doch alles lässig, locker wirken. Er wird im Pullover kommen, und ich stehe da wie eine aufgeputzte Provinzlerin. Ich riß mir Bluse und Rock wieder vom Leibe und stand in Unterrock und Panik vorm Kleiderschrank. Beate hätte das gemeistert, egal wie. Ich zog Hosen an und wieder aus, Blusen, Röcke, alles flog zu Boden. Nein, es war einfach zu spät, in fünf Minuten konnte er kommen. Ich raffte die feinen Sachen vom Teppich und fuhr hektisch hinein, Hitze schwappte mir ins gepuderte Gesicht, sicher würde bald die Schminke auf den hellen Kragen tropfen. Die vielen ungeeigneten Klamotten warf ich in den Schrank, schloß ab, eilte ans Fenster und spähte nach seinem Auto. Dazwischen hetzte ich in die Küche: Alles vorbereitet, aber bevor er da war, konnte ich ja nicht gut den Fisch braten.
    Witold kam pünktlich aufs akademische Viertel, in der Hand einen unpersönlichen Nelkenstrauß mit Asparagus, wo er doch in seinem Garten wirklich etwas Originelleres hätte pflücken können.
    »Ich hoffe, ich bin nicht zu spät. Kommt Ihre reizende Freundin auch? Ein paar Näglein zum Besteck...«, und er überreichte mir etwas steif seine fünf gelben Nelken und behielt das zerknüllte Papier in der Hand. Zu diesem Strauß hätte meinerseits ein »aber das wäre doch nicht nötig gewesen« gepaßt. Ich unterließ es, bedankte mich und bemerkte maliziös, daß Beate einen Freund hätte, der sie unter der Woche völlig in Beschlag lege. Witold lächelte dazu: Entweder wußte er das bereits, oder es war ihm egal, oder er konnte sich vorzüglich beherrschen.
    Ich goß Sherry ein, sauste in die Küche, setzte Nudelwasser auf. Eigentlich war ich nicht overdressed, fand ich.
    Witold war sehr neutral angezogen, ohne Schlips, aber mit einem sommerlich hellen Jackett zu Edeljeans. Wir

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