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Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Klippe stoßen können.
    Frau Römer rief mich freudestrahlend im Büro an. Ihr Rentenantrag war bewilligt worden, und sie brauchte nie mehr in die Versicherung zurückzukommen.
    »Morgen schaue ich mal rein und räume meinen Kram aus dem Schreibtisch; im Schrank ist auch noch ein Schirm von mir.«
    Ich bot ihr an, die Sachen in den nächsten Tagen vorbeizubringen, schließlich hatte sie kein Fahrzeug, und ihr rechter Arm war stark angeschwollen.
    Also begann ich, ihre Habe in einer Plastiktüte zu verstauen. Nicht nur der Schirm war im Schrank, es fanden sich auch ein Paar Hausschuhe, eine malvenfarbene Strickjacke, coffeinfreier Pulverkaffee, eine silbrige Kaufhaustasse und eine angebrochene Dose mit verdorbener Kondensmilch. In den Schubladen hatten sich Papiertaschentücherpackungen angesammelt, Medikamente, Bonbons, Nähzeug, Prospekte, Sicherheitsnadeln und eine Ersatzbrille.
    Ich besah mir die vielfältigen Medikamente. Da gab es Nasenspray, Kopfschmerz- und Migränemittel, Salbe für Sportverletzungen und eine volle sowie eine angebrochene Packung mit einem Digitalispräparat. Ich wußte, daß ihr Herzleiden mit einem Mittel aus dem hochgiftigen Fingerhut behandelt wurde. Mein Interesse war geweckt. Ich las die Gebrauchsanweisung. Digitoxin hieß der gefährliche Bestandteil in der interessanten Pille. »Für myocardiale Insuffizienz, rezidivierende supraventriculäre Tachycardien, Vorhofflimmern und Vorhofflattern infolge von Herzinsuffizienz« - das klang mir wie Musik in den Ohren. Ich beschloß, Frau Römer die volle Packung nicht auszuhändigen, sondern prophylaktisch aufzuheben. Man wußte ja nicht, wofür man so ein starkes Gift einmal brauchen konnte.
    Zu Hause wuchs meine Neugierde. Ich beschloß, ein kleines Experiment zu machen: Pralinen füllen mit Gift. Ich würde schon eine geeignete Abnehmerin finden, unter Umständen sogar Vivian.
    Ich verließ, wenn auch ungern, noch einmal die Wohnung und begab mich in den kleinen Laden um die Ecke. Nun, Waschpulver, Vollkornbrot, eine Käseecke und etwas Obst konnte man immer brauchen, des weiteren aber kaufte ich eine Packung Schokoladen-Trüffel, gefüllt mit Orangenlikör.
    In der Küche drückte ich eine Tablette aus der silbernen Schutzfolie. War dieses heikle Ding als Ganzes überhaupt in eine Trüffel einzupassen? Vorsichtig bohrte ich die Trüffel mit einem Fleischspießchen an. Zu meinem Erstaunen lief aber keine Flüssigkeit heraus, der Likör war in der zart schmelzenden Schokoladenmasse eingebunden. Es gelang mir, die Trüffel etwas auszuhöhlen, die Pille hineinzuschieben und die Praline wieder zuzudrücken. Sie sah allerdings etwas verformt aus, als habe sie in der Sonne gelegen.
    Nun mußte ich einen Selbstversuch riskieren und mein Machwerk in den Mund stecken. Etwas ängstlich las ich ein zweites Mal die Gebrauchsanweisung. Wenn herzkranke Patienten dreimal täglich so eine Tablette schluckten, konnte mir eine nicht schaden. Also Mut! Ich schob mir das Ding in den Mund. Nein, es ging wirklich nicht. Die Zunge hatte den Fremdkörper sofort entdeckt und schokoladenbraun gefärbt wieder ausgestoßen. Zu groß, die Tablette.
    Ich nahm sie, wischte die Schokolade mit einem Geschirrtuch ab und begann, die Tablette zu pulverisieren. Mit einem Messer erzielte ich nur Krümel, aber mit einem Hammer kam ich zu einem guten Ergebnis. Die zweite Praline wurde angebohrt und mit Pulver gefüllt, was zwar vorzüglich gelang, aber wiederum eine bemerkenswert matschige Trüffel zur Folge hatte. Ich probierte: Es schmeckte so gräßlich, daß ich die Trüffel angeekelt in den Spülstein spuckte. Pfui Teufel! Nur ein Mensch mit abgestorbenen Geschmacksnerven konnte so etwas herunterkriegen. Und dabei mußte er - grob geschätzt - mindestens zwölf solcher Trüffel hintereinander wegessen, um aus den Pantinen zu kippen.
    Nein, sagte ich mir, Vergiften liegt mir nicht. Wenn ich nun solche Trüffel, in mühevoller Arbeit gebastelt, anonym an Vivian oder den Faltermann schicken würde, was wäre dann? Vivian würde eine probieren und den Rest wegkippen. Faltermann würde vielleicht überhaupt nicht probieren (Biertrinker haben andere Gelüste), sondern das Geschenk seiner Frau oder einer neuen Eroberung anbieten. Das taugte alles nichts. Ich aß zornig die restlichen Trüffel auf - gegen alle meine eisernen Prinzipien - und legte das Gift wieder zu Frau Römers anderen Habseligkeiten.
    Als ich nach einigen Tagen bei Frau Römer auftauchte, dem Dieskau eine

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