Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hahn ist tot

Der Hahn ist tot

Titel: Der Hahn ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
Geld in einen Sarg investieren. Früher hätte Ernst so etwas abgelehnt und das Geld lieber einem Kinderdorf gespendet, aber jetzt war er so hilflos und unglücklich, daß er nur das Teuerste für seine tote Frau bestellt hätte.«
    Über diese Seite der Angelegenheit hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Wieviel Geld hatte man bei diesen drei Beerdigungen wohl insgesamt ausgegeben?
    Wir saßen stumm nebeneinander. Witold rauchte, ich knüllte nervös sein nasses Taschentuch in meinen Händen.
    »Die Kinder sind ins Kino gefahren«, sagt er auf einmal beiläufig, »ich war zu müde und hatte auch keine Lust dazu.«
    »Die Kinder?« fragte ich.
    »Na ja«, erklärte er, »vom Alter her gehört Vivian eher zu meinen Kindern als zu mir. Sie scheint in mir auch weniger den Liebhaber als den Papa zu suchen. Mein Gott, sie hat tausend Probleme, mit denen sie nicht fertig wird.«
    Ich hätte gern gewußt, ob sie nun seine feste Freundin war oder nicht. Wie wir beide so traurig nebeneinander hockten, dachte ich, daß wir auch ein Ehepaar sein könnten, das nach dem Besuch seiner Kinder wieder schweigsam zusammensitzt. Witold schien meine Neugierde in puncto Vivian zu ahnen.
    »Ich bin zu alt für dieses Mädchen«, flüsterte er, »schließlich habe ich einen Beruf, auch den Haushalt und den Garten. Ich kann und mag nicht mehr die Nächte durchmachen - ich brauche meinen Schlaf.«
    Tausend Gedanken schpssen mir durch den Kopf. Sollte ich ihm meine Liebe gestehen, sollte ich einen Versuch in diese Richtung wagen? Und wenn er dann in einem Anflug von Einsamkeit und Sentimentalität mit mir ins Bett gehen wollte? Ich überlegte scharf, ob ich das überhaupt anstrebte. Andererseits - wer nicht wagt, kann auch nicht gewinnen, ein alter Spruch. Ich lehnte mich ein wenig an ihn, ein zaghafter Test des Auslotens. Der Druck wurde nicht erwidert. Er ließ es geschehen, um nicht unhöflich zu sein, trachtete aber danach, sich nach Ablauf einer Toleranzminute durch Bewegung zu entziehen und nach einer weiteren Zigarette zu suchen.
    Was sollte ich überhaupt über Möglichkeiten nachgrübeln, wenn sie doch von vornherein zum Scheitern verurteilt waren! Er wollte mich nicht; nur meine platonische Verehrung tat ihm gut, und um sie zu erhalten, war er auch bereit, sich bei Gelegenheit tröstend und fürsorglich ins Zeug zu legen. Ich stand auf. Er tat es mir sofort nach, ohne mich auch nur mit der geringsten Geste zu weiterem Bleiben zu veranlassen. Wir gingen zur Tür.
    »Also merk dir für die Zukunft: Ich bin immer für dich da. Aber ich möchte nicht, daß jemand in meinem Garten steht und mich heimlich beobachtet. Allein bei diesem Gedanken könnte ich ausrasten!«, aber er lächelte ein wenig, um seinen warnenden Worten die Schärfe zu nehmen, und berührte federleicht mit seinen Lippen meine Wange. Ich verließ ihn.
    Frau Römer fuhr nach Amerika. Ich bekam den Hund und fühlte mich durch seine Gegenwart ein wenig getröstet. Ich sprach viel mit ihm, wie es einsame Menschen zu tun pflegen; ich sprach auch mit den Toten, mit Beate, meiner Mutter, sogar mit Scarlett und klärte sie über meine Verwundungen und meine trübe Seelenlage auf.
    Eines Abends rief Witold an; ich hatte ihn seit damals, als er mich im Garten gestellt hatte, weder gesehen noch gesprochen. Im nachhinein war mir die Peinlichkeit dieser Situation immer deutlicher geworden, und ich hatte auf einmal das Bedürfnis, ihn nie wieder zu treffen.
    Er sprach ohne lange Prämissen.
    »Eben war der Computer-Polizist wieder hier. Ich rufe eigentlich nur an, um dich zu warnen. Es könnte gut sein, daß er auch bei dir noch auftaucht.«
    »Gibt es neue Erkenntnisse? Muß ich auf irgend etwas besonders achten?« fragte ich.
    »Na ja, wir haben ja schon darüber gesprochen. Du hattest mir zugesagt, nichts über mein nächtliches Treffen mit Scarlett und nichts über deine und meine Beteiligung an Hilkes Tod zu sagen. Kann ich mich darauf verlassen?«
    »Klar, kannst du. Im Fall Hilke beruht das ganz auf Gegenseitigkeit.«
    Bereits eine halbe Stunde nach diesem Gespräch war der Ladenburger Kriminalist bei mir. Ich sperrte den maulenden Hund ins Schlafzimmer. Der Mann war höflich und kühl. Er habe einige Fragen, denn es gebe in drei Mordfällen noch ungelöste Probleme, zu denen mir unter Umständen etwas einfallen könne.
    Zuerst fragte er mich eingehend über mein Verhältnis zu Beate aus, obgleich doch gerade dieser Fall nicht in seinem Kompetenzbereich lag. Ich sollte

Weitere Kostenlose Bücher