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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
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Palais, hieß das nicht, dass es hier nicht auch viele Schriftsteller und Künstler gegeben hätte.
    Hat es hier begonnen, hier am Meeresufer? Vielleicht ist dieser unternehmerische Aufbruchsgeist typisch Odessa; ihr Vagabundieren auf der Suche nach alten Büchern oder Dürer oder Liebesabenteuern oder dem nächsten Geschäft in Getreide. Odessa ist sicher ein guter Ort, um von dort aufzubrechen. Man kann sich nach Osten wenden oder nach Westen. Es ist ironisch, gierig, polyglott.
    An diesem Ort kann man gut seinen Namen wechseln. »Jüdische Namen klingen dem Ohr nicht gut«: So wurde aus ihrer Großmutter Balbina Belle und aus ihrem Großvater Chaim Joachim, später Charles Joachim. Aus Eizak wurde Ignaz und aus Leib Leon. Und Efrussi wurde Ephrussi. Hier wurde die Erinnerung an Berdytschiw, das ukrainische Schtetl, wo Chaim herkam, hinter dem blassgelben Verputz ihres ersten Palais an der Promenade eingemauert. Hier wurden sie die Ephrussi aus Odessa.
    Es ist ein guter Ort, um etwas in die Tasche zu stecken und eine Reise zu beginnen. Ich möchte wissen, wie der Himmel in Berdytschiw aussieht, aber ich muss nachhause. Ich suche unter den Kastanienbäumen nach einer stacheligen Frucht, um sie in die Tasche zu stecken. Zweimal gehe ich die ganze Promenade entlang, aber auch hier bin ich einen Monat zu spät gekommen. Die Kastanien sind weg. Hoffentlich haben Kinder sie aufgehoben.
     
    Gelb/Gold/Rot
     
    Auf dem Heimflug von Odessa fühle ich mich erschöpft von diesem Jahr. Nein, korrigiere ich mich, es ist nicht nur ein Jahr, es sind beinahe zwei Jahre, in denen ich mir das Gekritzel in den Randspalten der Bücher ansah, die als Lesezeichen dienenden Briefe, die Fotos der Verwandten aus dem 19. Jahrhundert, das Patent aus Odessa von diesem und jenem, die Kuverts mit den paar traurigen Luftpostbriefen ganz hinten in den Schubladen. Zwei Jahre Routenaufspüren durch Städte, eine alte Landkarte in der Hand, ratlos.
    Meine Finger sind klebrig von alten Papieren und Staub. Mein Vater stöbert nach wie vor Sachen auf. Warum findet er immer noch etwas in seiner winzigen Wohnung in der Anlage für pensionierte Geistliche? Eben hat er ein Tagebuch aus den 1870er Jahren gefunden, in unlesbarem Deutsch, das ich übersetzen lassen muss. Eine Woche verstreicht in einem Archiv, und ich habe bloß eine Liste noch nicht gelesener Zeitungen, eine Notiz, etwas in einem Briefwechsel nachzuschlagen, ein Fragezeichen in Sachen Berlin. Mein Atelier ist voller Romane und Bücher über Japonismus, meine Kinder fehlen mir, und ich habe seit Monaten kein Porzellan gemacht. Was wird werden, wenn ich mich endlich mit einem Klumpen Ton an meine Töpferscheibe setze?
    Ein paar Tage in Odessa und mehr Fragen als je zuvor. Wo hat Gorki seine Netsuke gekauft? Wie hat die Bibliothek in Odessa in den 187oern ausgesehen? Berdytschiw wurde im Krieg zerstört, aber vielleicht sollte ich auch dorthin fahren und nachforschen. Joseph Conrad stammt aus Berdytschiw: Vielleicht sollte ich Conrad lesen. Hat er über Staub geschrieben?
    Mein Tiger-Netsuke kommt aus Tamba, einem Dorf in den Bergen westlich von Kyoto. Ich erinnere mich an eine endlose Busfahrt vor dreißig Jahren, als ich einen alten Töpfer an einer abschüssigen, staubigen Straße besuchte. Vielleicht sollte ich der Heimat meines Tigers nachspüren. Es muss eine Kulturgeschichte des Staubs geben.
    Mein Notizbuch ist voller Listen. Gelb / Gold / Rot / Gelber Lehnstuhl / Gelber Umschlag / Gazette / Gelbes Palais / Goldenes Lackkästchen / Louises tizianblondes Haar / Renoir: La Bohemienne / Vermeers Ansicht von Delft.
    Auf dem Prager Flughafen, wo ich umsteige und drei Stunden Aufenthalt habe, sitze ich mit meinen Notizbüchern und einer Flasche Bier, dann noch einer, und zerbreche mir den Kopf über Berdytschiw. Ich erinnere mich, dass Charles, der gewandte Tänzer, von seinem Bruder Ignaz und von Robert de Montesquiou, einem engen Freund Prousts, »Le Polonais« genannt wurde, der Pole, aber auch der Polonaisentänzer. Und Painter, der frühe Proust-Biograph, nahm das auf und machte Charles barbarisch und ungeschlacht. Ich dachte, er wäre da bloß falsch gelegen. Vielleicht, denke ich, während ich mein Bier trinke, wollte er betonen, woher jemand kam: aus Polen, nicht aus Russland. Mir wird klar, dass ich in meiner Begeisterung über taktile Reaktionen auf Odessa dessen Ruf als Stadt der Pogrome, als eine Stadt, der man gerne entkommt, beiseitegewischt habe.
    Und ich habe das etwas mulmige

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