Der Hase mit den Bernsteinaugen
herumgetragen, verkauft, getauscht, gestohlen, wiedergefunden und verloren worden. Menschen haben immer Geschenke gemacht. Es geht darum, wie man ihre Geschichte erzählt.
Das ist das Gegenstück einer Frage, die man mir oft stellt: »Ist es nicht schlimm für Sie, wenn Ihre Sachen das Atelier verlassen?« Was soll ich sagen, nein, es ist nicht schlimm. Ich lebe davon, Dinge gehen zu lassen. Wenn man Gegenstände herstellt, so wie ich es tue, dann hofft man, dass sie ihren Weg in der Welt machen und eine gewisse Langlebigkeit haben.
Nicht nur Dinge tragen ihre Geschichten in sich. Auch Geschichten sind eine Art Dinge. Geschichten und Objekte haben etwas gemeinsam, eine Patina. Vor zwei Jahren, als ich begann, dachte ich, das sei klar, aber jetzt weiß ich nicht mehr genau, wie das funktioniert. Vielleicht ist Patina ein Wegreiben, wobei das Wesentliche enthüllt wird, so wie ein geriffelter Stein, in einem Fluss um und um gerollt, sich un-reduzierbar anfühlt, so wie dieses Netsuke eines Fuchses inzwischen wenig mehr ist als die Erinnerung an eine Nase und einen Schwanz. Aber es scheint auch etwas dazuzukommen, so wie ein Eichenholzmöbel durch Jahre des Polierens etwas gewinnt, so wie die Blätter meiner Mispel schimmern.
Man nimmt einen Gegenstand aus der Tasche, legt ihn vor sich auf den Tisch und fängt an. Man beginnt eine Geschichte zu erzählen.
Wenn ich sie halte, bemerke ich, dass ich nach Abnützungsspuren suche, nach den in Faserrichtung laufenden feinen Rissen in manchen Elfenbeingegenständen. Nicht dass ich möchte, die dünne Bruchlinie in den Ringern - ein Knäuel verzweifelt um sich schlagender Elfenbeinglieder - käme davon, dass irgendeine Berühmtheit (ein Dichter, ein Maler, Proust) sie in einem Augenblick hitziger Fin-de-Siecle-Exaltation auf Charles’ goldgelben Teppich der Winde fallen ließ. Oder der tief eingefressene Schmutz unter den Flügeln der Zikade auf der Walnussschale käme davon, dass sie in einer Wiener Matratze lagen. Wahrscheinlich ist das ja nicht der Grund.
Der letzte Rastplatz der Sammlung ist London. Das Victoria and Albert Museum stößt einige seiner alten Vitrinen ab, um Platz für neue Schaukästen zu schaffen. Ich kaufe eine.
Da meine Töpferarbeiten als minimalistisch gelten - Reihen von blass seladongrünen und blaugrauen Porzellangefäßen -, nimmt man an, meine Frau und meine drei Kinder würden in einer Art Tempel des Minimalismus leben, mit einem Betonboden vielleicht oder Glaswänden, ein paar dänischen Möbeln. Weit gefehlt. Wir wohnen in einem edwardianischen Haus in einer hübschen Londoner Straße, davor Platanen, im Vorraum lagen heute Morgen zum Beispiel ein Cello, ein Waldhorn, ein paar Gummistiefel, eine hölzerne Burg, mit der die Buben nicht mehr spielen, seit drei Monaten wartet sie darauf, in einen Wohltätigkeitsladen gebracht zu werden, ein Haufen Mäntel und Schuhe und Ella, unsere geliebte alte Jagdhündin - dahinter wird es dann erst richtig arg. Aber ich möchte, dass unsere drei Kinder die Möglichkeit haben, die Netsuke kennen zu lernen, so wie es jene drei Kinder vor hundert Jahren durften.
Also hieven wir mit viel Mühe die ausrangierte Vitrine herein. Es braucht vier Mann und eine Menge Gefluche. Sie hat einen Mahagonisockel, ist aus Bronze und zweieinhalb Meter hoch, mit drei Glasregalen. Erst als wir sie an der Wand befestigen, erinnere ich mich an meine Sammlungen aus der Kindheit. Ich sammelte Knochen, ein Mäusefell, Muscheln, eine Tigerkralle, eine abgeworfene Schlangenhaut, Tonpfeifen und Muschelschalen, dazu viktorianische Pennys aus der archäologischen Grabung, die mein Bruder John und ich in einem Sommer vor vierzig Jahren in Lincoln in Angriff nahmen; wir hatten die Ausgrabungsstätte schon mit Schnüren markiert, aber dann wurde uns langweilig. Mein Vater war Kanzler an der Kathedrale, und wir wohnten gegenüber dem großen gotischen Ostfenster, in der Chancery, einem mittelalterlichen Haus mit einer Wendeltreppe und einer Kapelle an jedem Ende eines langen Ganges. Ein Erzdiakon im Kathedralenhof gab uns seine Sammlung von Fossilien weiter, die er in seiner Kindheit zu König Edwards Zeiten in Norfolk ausgegraben hatte, auf einigen standen noch Tag und Fundort verzeichnet. Als ich sieben war, stieß die Dombibliothek Mahagonischränke ab, und so nahm eine Vitrine - meine erste - mein halbes Zimmer ein; dort ordnete ich meine Objekte immer wieder neu, drehte den Schlüssel um und öffnete den Schrank, wenn mich jemand
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