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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
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verwirrenderweise drei Ignaz Ephrussi auf. Der jüngste ist mein Großonkel Iggie in seiner Tokioter Wohnung. Dann gibt es Charles’ Bruder, den Pariser Duellanten Ritter Ignaz von Ephrussi mit seinen vielen Liebesaffären. Und hier in Wien treffen wir auf Baron Ignaz von Ephrussi, Inhaber des Eisernen Kreuzes Dritter Klasse, für seine Verdienste vom Kaiser in den Adelsstand erhoben, Kaiserlicher Rat, Ritter des Ordens vom heiligen Olaf, Honorarkonsul des Königs von Schweden und Norwegen, Inhaber eines bessarabischen, eines russischen Ordens.
    Ignaz war der zweitreichste Bankier von Wien; er besaß ein weiteres riesiges Gebäude an der Ringstraße und mehrere Häuser für die Bank. Und das war bloß in Wien. Ich finde einen Buchprüfungsbeleg, in dem steht, dass er in der Stadt Vermögenswerte in der Höhe von 3308319 Gulden besaß, das entspricht grob geschätzt einem heutigen Gegenwert von 145 Millionen Euro; siebzig Prozent dieser Reichtümer in Aktien, dreiundzwanzig Prozent in Grundstücken und Immobilien, fünf Prozent in Kunst und Schmuck und zwei Prozent in Gold. Viel Gold, denke ich, und eine herrlich ruritanische Titelfülle. Um ihr würdig zu sein, brauchte man wohl eine üppig vergoldete Fassade mit extra viel Karyatiden.
    Ignaz war ein Magnat der Gründerzeit der österreichischen Moderne. Er war mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder Leon aus Odessa nach Wien gekommen. Während der katastrophalen Überschwemmung 1862, das Wasser der Donau reichte damals bis an die Altarstufen des Stephansdoms, gewährte die Familie Ephrussi der Regierung hohe Darlehen, um Schutzdämme und neue Brücken zu errichten.
    Ich besitze eine Zeichnung von Ignaz. Er muss um die fünfzig sein, trägt einen recht schönen Rock mit breiten Revers und eine Krawatte mit dickem Knoten und einer Perle. Bärtig, das dunkle Haar zurückgestrichen, blickt er mich geradeheraus prüfend an, der Mund wirkt etwas skeptisch.
    Auch von seiner Frau Emilie besitze ich ein Porträt; sie hat graue Augen, trägt eine mehrfach um den Hals gewundene Perlenkette, eine Schlinge fällt über ein Kleid aus schillernder schwarzer Seide. Auch sie wirkt ein wenig reserviert; jedes Mal, wenn ich das Bild zuhause aufhängte, musste ich es wieder abnehmen, sie sah gar so kritisch auf unser häusliches Leben nieder. Emilie hieß in der Familie »das Krokodil«, sie zeigte ein sehr gewinnendes Lächeln - wenn sie lächelte. Da Ignaz Affären mit ihren beiden Schwestern hatte und dazu noch eine ganze Schar Geliebte, bin ich froh, dass sie überhaupt lächelt.
    Irgendwie stelle ich mir vor, dass es Ignaz war, der sich Hansen als Architekten aussuchte; er verstand, wie Symbole funktionieren. Was dieser reiche jüdische Bankier wollte, war ein Gebäude, das den Aufstieg seiner Familie symbolisierte, ein Haus, das neben den großen Institutionen am Ring bestehen konnte.
    Der Vertrag zwischen den beiden wurde am 12. Mai 1869 unterzeichnet, der Magistrat erteilte Ende August die Baugenehmigung. Als Theophil Hansen am Palais Ephrussi arbeitete, war er bereits geadelt worden und hieß nun Theophil Freiherr von Hansen; sein Auftraggeber war in den Ritterstand erhoben worden, Ignaz Ritter von Ephrussi. Ignaz und Hansen hatten schon zu Beginn Meinungsunterschiede über den Maßstab der Aufrisszeichnungen; die Pläne zeigen immer neue Änderungen, während die beiden willensstarken Männer austüftelten, wie man den spektakulären Baugrund nutzen solle. Ignaz verlangte Stallungen für vier Pferde und eine Remise »für zwei bis drei Kutschen«. Sein wichtigster Wunsch war eine Treppe nur für ihn alleine, die sonst niemand im Haus benützen sollte. Das alles steht in einem Artikel in der Allgemeinen Bauzeitung, der mit wunderbaren Plänen und Aufrisszeichnungen illustriert ist. Das Palais würde eine Aussichtstribüne über Wien sein; von den Balkonen aus würde man einen guten Blick auf Wien haben, und die Stadt würde an dem riesigen Eichentor vorüberrauschen.
    Ich stehe davor. Es ist der letzte Augenblick, wo ich mich noch umwenden, die Straße überqueren, in die Straßenbahn steigen und dieses dynastische Haus und seine Geschichte sein lassen könnte. Ich atme tief durch, drücke auf die linke Tür, die in das riesige Eichentor eingeschnitten ist, und stehe in einem langen, hohen, dunklen Gang, über mir eine goldverzierte Kassettendecke. Ich gehe weiter und bin in einem glasüberdachten, fünf Stockwerke hohen Hof mit umlaufenden Innenbalkonen, die den

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