Der Hase mit den Bernsteinaugen
Jahre, bevor Viktor und Emmy heirateten und Charles’ Netsuke eintrafen, organisierte Hans Makart, ein äußerst populärer Maler riesiger Historienschinken, 1879 zur Silbernen Hochzeit des Kaisers einen Festzug. Die Handwerker Wiens traten in 43 Gilden auf, jede mit ihrem eigenen, allegorisch geschmückten Festwagen. Musiker und Herolde, Hellebardenträger und Männer mit Bannern umringten die Festwagen, alle in Renaissancekostüme gewandet; Makart im breitkrempigen Hut ritt der pompösen Kavalkade auf einem weißen Hengst voran. Es scheint mir, als passten diese kleinen Nachlässigkeiten - ein bisschen Renaissance, ein wenig Rubens, ein Hauch Pseudo-Klassik - perfekt auf die Ringstraße.
Es ist alles so bewusst grandios und doch ein wenig Cecil B. de Mille. Ich bin nicht das Publikum dafür. Ein junger Maler und Architekturstudent, Adolf Hitler, zeigte hingegen die gebührende, emotionale Reaktion auf die Ringstraße: »Ich lief die Tage vom frühen Morgen bis in die späte Nacht von einer Sehenswürdigkeit zur anderen, allein es waren immer nur Bauten, die mich in erster Linie fesselten. Stundenlang konnte ich so vor der Oper stehen, stundenlang das Parlament bewundern; die ganze Ringstraße wirkte auf mich wie ein Zauber aus Tausendundeiner Nacht.« Hitler malte alle großen Bauwerke am Ring, das Burgtheater, Hansens Parlament, die zwei großen Gebäude gegenüber dem Palais Ephrussi: Universität und Votivkirche. Er wusste zu würdigen, wie man Raum für dramatische Schaustellungen nutzen konnte. Er verstand diese Ornamentik anders: Sie drücke »ewige Werte« aus.
Der ganze Zauber wurde dadurch finanziert, dass man Grundstücke an die rasch wachsende Schicht der Finanzleute und Unternehmer verkaufte. Auf vielen wuchsen die typischen Ringstraßenpalais empor, ein Gebäudetyp, in dem sich hinter einer prächtigen Fassade mehrere Wohnungen verbargen. Man konnte eine eindrucksvolle Palais-Adresse vorweisen, mit einem Prunkportal, Balkonen und Fenstern auf die Ringstraße, einer marmorgetäfelten Eingangshalle, einem Salon mit Deckengemälde - und doch in einem einzigen Stockwerk wohnen. In dieser Etage, dem Nobelstock, gruppierten sich die Empfangsräume um einen großen Ballsaal. Der Nobelstock ist leicht von außen zu erkennen, dort gibt es nämlich die üppigsten Verzierungen um die Fenster.
Viele Bewohner dieser Palais waren erst vor kurzem zu Reichtum gelangte Familien, und das bedeutete einen starken jüdischen Bevölkerungsanteil an der Ringstraße. Bei meinem Spaziergang weg vom Palais Ephrussi passiere ich die Palais der Lieben, Epstein, Schey von Koromla, Königswarter, Todesco, Wertheim, Gutmann. Diese pompösen Gebäude sind ein Appellplatz der untereinander verschwägerten jüdischen Familien, eine architektonische Parade selbstbewussten Wohlstands, in der Judentum und Ornament verwoben waren.
Während ich so dahingehe, den Wind im Rücken, denke ich an mein »Vagabundieren« rund um die Rue de Monceau, und ich erinnere mich an Zolas habgierigen Saccard in seinem vulgär opulenten Herrenhaus, das sich der Straße aufdrängt. Hier in Wien laufen die Auseinandersetzungen über die Juden der Zionstraße hinter den grandiosen Fassaden ihrer Palais auf andere Weise ab. Hier, so heißt es, seien die Juden so assimiliert, hätten ihre nichtjüdischen Nachbarn so geschickt nachgeahmt, dass sie die Wiener überlistet hätten und einfach im Gewirk des Rings verschwunden seien.
In Robert Musils Roman »Der Mann ohne Eigenschaften« grübelt der alte Graf Leinsdorf über dieses Verschwinden nach. Die Juden hätten das gesellschaftliche Leben in Wien durcheinandergebracht, da sie ihren pittoresken Wurzeln nicht treu geblieben seien. »Die ganze sogenannte Judenfrage wäre aus der Welt geschafft, wenn die Juden sich entschließen wollten, hebräisch zu sprechen, ihre alten eigenen Namen wieder anzunehmen und orientalische Kleidung zu tragen … Ich gebe zu, daß ein soeben erst bei uns reich gewordener Galizianer im Steireranzug mit Gamsbart auf der Esplanade von Ischl nicht gut aussieht. Aber stecken Sie ihn in ein lang herabwallendes Gewand … Sie sollen sehen, wie diese … auf unserer Ringstraße spazieren gehen, die dadurch so einzigartig auf der Welt dasteht, daß man auf ihr inmitten der höchsten westeuropäischen Eleganz, wenn man mag, auch einen Mohammedaner mit seinem roten Kappl, einen Slowaken im Schafpelz oder einen Tiroler mit nackten Beinen sehen kann!«
In den Slums von Wien, in der
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