Der Hase mit den Bernsteinaugen
riesigen Raum akzentuieren. Vor mir steht auf seinem Podest die lebensgroße Statue eines ziemlich muskulösen Apollo, der halbherzig an seiner Leier zupft.
Ein paar Sträucher in Übertöpfen, eine Rezeption. Ich erkläre stockend, wer ich bin, dies sei das Haus meiner Familie, ich würde mich gerne, wenn das kein zu großes Problem sei, ein wenig umsehen. Das ist ganz sicher kein Problem. Ein charmanter Herr erscheint und fragt, was ich sehen möchte.
Überall Marmor: massenhaft Marmor. Das sagt noch nicht genug. Alles ist Marmor. Boden, Wände, Treppen, Treppenhäuser, die Säulen am Treppengeländer, die Decke über der Treppe, die Friese an der Decke über der Treppe. Es geht nach links, ich steige die Familientreppe hinauf, flache Marmorstufen. Wende mich nach rechts und komme in eine weitere Vorhalle. Ich schaue nach unten und sehe die in den Marmorboden eingelassenen Initialen des Patriarchen: JE (für Joachim Ephrussi), darüber eine Krone. Neben den breiten Treppen zwei hohe Kerzenständer, höher als ich. Die Stufen führen immer weiter, zum Stolpern flach. Schwarze Marmorumrahmungen um die riesigen Flügeltüren - schwarz und gold; ich stoße sie auf und betrete die Welt des Ignaz Ephrussi.
Für Räume mit so viel Goldverzierung wirken sie sehr, sehr düster. Die Wände sind in Paneele geteilt, durch vergoldete Streifen getrennt. Die Kamine massive Schaustücke in Marmor. Die Böden aufwendig gemustertes Parkett. Die Decken ein Gespinst aus rautenförmigen, ovalen und dreieckigen Feldern mit dicken vergoldeten Umrahmungen, erhaben und kassettiert, schnörkelumschlungen, klassizistische Gischt. Kränze und Akanthusblätter krönen die überwältigende Mixtur. Die Deckenpaneele sind mit Malereien von Christian Griepenkerl geschmückt, dessen Deckenfresken im Zuschauerraum der Oper großen Anklang fanden. Jeder Raum weist ein klassisches Thema auf: Im Billardzimmer sind es eine Reihe von Eroberungen des Zeus, Leda, Antiope, Danae und Europa; jedes entblätterte Mädchen wird von Putten und Samtdraperien gehalten. Im Musikzimmer gibt es Allegorien der Musen, im Salon streuen assortierte Göttinnen Blumen, im kleineren Salon nach Gutdünken verstreute Putten. Im Speisezimmer schenken, was sonst, Nymphen Wein aus, sie sind mit Traubenranken umwunden oder haben Wildbret über die Schulter geworfen. Auf den Türstürzen noch mehr Putten, aus unerfindlichen Gründen.
Alles hier glänzt, fällt mir auf. Nirgendwo an diesen Marmoroberflächen kann man sich anhalten. Dieser Mangel an Taktilität macht mich panisch: Ich streiche mit der Hand über die Wände, sie fühlen sich ein wenig klamm an. Ich hatte gedacht, in Paris wäre ich mir über meine Gefühle zur Belle Epoque klargeworden, als ich mit gerecktem Hals die Baudrys an der Decke der Oper betrachtete. Aber hier ist alles viel näher, viel persönlicher. Es ist aggressiv golden, aggressiv beziehungslos. Was hatte Ignaz denn vor? Wollte er seine Kritiker mundtot machen?
Im Ballsaal mit den drei großen Fenstern, von denen aus man über den großen Platz hinweg zur Votivkirche sieht, hat sich Ignaz plötzlich ein wenig verraten. Wo man in den anderen Ringstraßenpalais vielleicht auf etwas Elysisches stoßen würde, findet sich hier eine Reihe von Deckenmalereien mit Szenen aus dem biblischen Buch Esther: Esther wird zur Königin Israels gekrönt, sie kniet vor dem Hohen Priester in seinen Rabbinergewändern, sie wird gesegnet, hinter sich die kniende Dienerschaft. Und dann ist da die Niederwerfung der Söhne Hamams, des Feindes der Juden, durch jüdische Krieger.
Das ist gelungen. Hier wird auf Dauer ein Terrain abgesteckt, und das, ohne ein Wort zu verlieren. Der Ballsaal war der einzige Raum in einem jüdischen Haushalt, wie grandios und reich jemand auch sein mochte, den die nichtjüdischen Nachbarn bei gesellschaftlichen Anlässen zu Gesicht bekamen. Es ist das einzige jüdische Bild an der gesamten Ringstraße. Hier an der Zionstraße ein kleines bisschen Zion.
Der Lauf der Geschichte
In diesem strengen Marmorpalast wuchsen Ignaz’ drei Kinder auf. In dem Bündel Familienfotos, das mir mein Vater gegeben hat, ist auch ein Salonbild dieser Kinder, steif vor Samtdraperien und einer Topfpalme aufgepflanzt. Stefan, der älteste Sohn, ist hübsch, scheint etwas befangen. Er verbringt seine Tage mit dem Vater im Büro und wird ins Getreide-Business eingeführt. Anna hat ein langes Gesicht und riesige Augen, eine Unmenge Locken, und wirkt
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