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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
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Söhne anderer wohlhabender jüdischer Bankiers und Unternehmer, auch sie gehörten zu jener Generation, die in den Marmorpalästen an der Ringstraße aufgewachsen war. Ihre Väter hatten Städte und Eisenbahnen finanziert, hatten ein Vermögen gemacht, waren mit ihren Familien quer über Kontinente umgezogen. Es war so schwer, es mit diesen Gründern aufzunehmen, was konnte man schon tun außer reden?
    Diese Söhne machten sich alle ähnliche Sorgen um ihre Zukunft, um ihr vorbestimmtes Leben, das in von der Dynastie vorgegebenen Bahnen ablaufen sollte, über die Erwartungen der Familie, die sie vorwärtstrieben. Es bedeutete ein Leben unter den goldverzierten Plafonds ihrer Elternhäuser, Hochzeit mit der Tochter eines Finanzmagnaten, endlose Bälle, Jahre voller Geschäfte, die sich vor ihnen abrollten. Es bedeutete Ringstraßenstil, Pomp, übersteigertes Selbstgefühl, ein Dasein als Parvenü. Es bedeutete nach dem Essen Billard im Billardzimmer mit den Freunden des Vaters, ein Leben eingeschlossen in Marmor, unter dem wachsamen Blick der Putten.
    Diese jungen Männer galten entweder als Wiener oder als Juden. Es besagte nichts, wenn sie in der Stadt geboren waren; Juden hatten einen unfairen Vorteil gegenüber einheimischen Wienern, die den semitischen Zuzüglern die Freiheit geschenkt hatten. Wie der englische Schriftsteller Henry Wickham Steed meinte, war das »Freiheit für den klugen, geistreichen, rastlosen Juden, eine gesellschaftliche und politische Welt auszunützen, die vollkommen untüchtig war, sich gegen ihn zu wappnen oder mit ihm in Konkurrenz zu treten. Frisch vom Talmud und der Synagoge und daher gerüstet, mit dem Gesetz zu jonglieren, in Intrigen gewitzigt, drang der Semit aus Galizien oder Ungarn ein und obsiegte. Unbekannt und deswegen ungehemmt von der öffentlichen Meinung, ohne >Anteil am Land< und deshalb rücksichtslos, suchte er nur seinen unersättlichen Hunger nach Reichtum und Macht zu stillen …«
    Die Unersättlichkeit der Juden war ein geläufiges Thema. Sie würden einfach ihre Grenzen nicht kennen, hieß es. Antisemitismus gehörte zum Alltagsleben. Das Timbre des Wiener Antisemitismus unterschied sich allerdings von der Pariser Variante. An beiden Orten existierte er teils offen, teils versteckt, doch in Wien konnte einem schon einmal der Hut auf der Ringstraße vom Kopf geschlagen werden, wenn man jüdisch aussah (Schnitzlers Ehrenberg in »Der Weg ins Freie«, Freuds Vater in »Die Traumdeutung«), konnte man, wenn man ein Fenster im Zug öffnete, als dreckiger Jude beschimpft (Freud), bei der Sitzung eines Wohltätigkeitsvereins geschnitten werden (Emilie Ephrussi), konnten Vorlesungen an der Universität durch Zwischenrufe »Juden hinaus« unterbrochen werden, bis alle jüdischen Studenten ihre Sachen zusammenrafften und gingen.
    Beschimpfungen waren auch allgemeinerer Art. Man konnte sich die letzten Auslassungen der Wiener Version des Parisers Edouard Drumont, Georg von Schönerer, zu Gemüte führen oder seine aggressiven Anhänger bei Kundgebungen am Ring unter dem Fenster brüllen hören. Schönerer wurde berühmt als Gründer des Deutschnationalen Reformvereins; er wetterte gegen den »Vampyr der Aussaugung … der ebenso an die Hütte des ungarischen und polnischen Bauern klopft wie an das schmalfenstrige Haus des deutschen Landwirtes und Gewerbsmannes«. Im Reichsrat verkündete er, wenn auch seine Bewegung einstweilen keinen Erfolg habe, »werden doch gewiß aus unseren Gebeinen dereinst Rächer erstehen« und »zum Schrecken der semitischen Unterdrücker und ihrer Helfershelfer unsere Grundsätze durchsetzen«. »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Vergeltung des durch die - erfolgreichen, wohlhabenden - Juden angetanen Unrechts, das fand besonders bei Handwerkern und Studenten Anklang.
    Die Wiener Universität galt als besondere Brutstätte von Nationalismus und Antisemitismus; die Burschenschaften waren hier bahnbrechend mit ihrem Gelöbnis, die Juden von der Universität zu vertreiben. Das ist einer der Gründe, warum viele jüdische Studenten es für notwendig hielten, besonders gewandte und tollkühne Fechter zu werden. Daraufhin führten die alarmierten Burschenschaften das »Waidhofener Prinzip« ein, das bedeutete, dass man sich mit Juden nicht duellieren konnte, da diese keine Ehre besäßen und deshalb auch nicht so tun könnten, als ob: »Juden sind bar jeder Ehre; ihnen ist daher auf keine Waffe Satisfaktion zu geben.« Zusammenschlagen konnte man sie

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