Der Hauch Des Bösen: Roman
hat sie stundenlang mit mir geredet, hat die Schmerzen ausgehalten, bis die Nacht vorüber war.«
Obwohl Roarke noch immer stand, nahm Moira seufzend Platz. »Sie hatte Arbeit in einem Pub gefunden, als sie nach Dublin gekommen war. Sie war ein hübsches, frisches Ding, als sie ihn dort kennen gelernt hat. Sie war damals gerade achtzehn, unschuldig, naiv und auf der Suche nach Abenteuer und Romantik. Er war ein attraktiver Mann. Wie es hieß, konnte er durchaus charmant sein, und sie hat sich in ihn verliebt. Junge Mädchen verlieben sich oft in Männer, vor denen sie besser davonliefen. Er hat sie verführt, hat ihr versprochen, sie zu heiraten, ihr ewige Liebe geschworen und seinen gesamten Charme auf sie verwandt.«
Sie stand erneut auf, trat ans Fenster und starrte hinaus. »Als sie schwanger wurde, nahm er sie bei sich
auf. Immer wieder hat er ihr versprochen, sie zu heiraten, und sie hat mir erzählt, sie hätte ihrer Familie geschrieben, sie wären bereits Mann und Frau. Denn für die Wahrheit hätte sie sich viel zu sehr geschämt. Also hat sie behauptet, sie wäre verheiratet und glücklich und alles wäre gut, und sie käme so bald wie möglich zu Besuch. Wie naiv sie doch gewesen ist«, murmelte Moira. »Na ja, schließlich kam das Baby auf die Welt. Er war froh, dass es ein Junge war, und versprach ihr ständig, sie bald zu heiraten. Sie hat ihn immer wieder bedrängt, denn sie wollte einen offiziellen Vater für ihr Kind. Da fingen die Schläge an.«
Sie wandte sich Roarke wieder zu. »Anfangs wäre es nicht so schlimm gewesen, hat sie mir erzählt. Aber das sagen sie fast alle. Oder dass es ihre Schuld gewesen ist, weil sie ihm pausenlos mit ihrer Bitte in den Ohren lag oder ihn mit irgendetwas anderem verärgert hat. Das ist Teil des fürchterlichen Kreislaufs.«
»Ich kenne diesen Kreislauf, kenne die Statistiken, kenne den Befund.«
»Das denke ich mir. Schließlich hätten Sie bestimmt kein Haus wie dieses finanziert, ohne sich die Zeit zu nehmen, sich über diese Dinge gründlich zu informieren. Aber es ist etwas völlig anderes, wenn es einen persönlich betrifft.«
»Ich kenne das Mädchen nicht, von dem Sie sprechen.« Sie war eine Fremde oder eher eine Fantasiegestalt. Es war eine anrührende Geschichte, die sie ihm erzählte, um damit irgendein ihm bisher unbekanntes Ziel zu verbinden. So musste es ganz einfach sein.
»Aber ich habe sie gekannt«, stellte Moira schlicht und ruhig fest.
Und diese Ruhe brachte ihn zum ersten Mal leicht aus dem Gleichgewicht. »Das haben Sie bereits gesagt.«
»Und ich sage es gerne noch einmal. An dem Abend, als sie bei mir angerufen hat, hatte er eine andere Frau mitgebracht. Als sie Einspruch dagegen erhoben hat, hat er ihr die Finger gebrochen und ihr ein blaues Auge verpasst.«
Seine Kehle brannte, seine Stimme aber klang weiter ungerührt. »Und das alles können Sie natürlich beweisen?«
»Beweisen kann ich nichts, aber ich erzähle Ihnen von Tatsachen, die ich sicher weiß. Was Sie damit machen, ist alleine Ihre Sache. Vielleicht sind Sie ja doch genauso hart wie er. Aber trotzdem hören Sie mir bitte bis zum Ende zu. Sie blieb eine Woche in dem Frauenhaus, und ich besuchte sie dort jeden Tag. Ich war zu dem Schluss gekommen, dass es meine Mission sei, sie zu retten. Gott steh uns beiden bei. Ich habe ihr Vorträge gehalten und ihr all die tollen Dinge, die ich gelernt hatte, erklärt. Sie hatte Verwandte in Clare - Eltern, zwei Brüder, eine Schwester - eine Zwillingsschwester, hat sie mir erzählt. Ich habe sie dazu überredet, ihnen wenigstens zu schreiben, denn anrufen wollte sie auf keinen Fall. Sie meinte, sie würde die Schande nicht ertragen, all das auszusprechen. Also habe ich sie bedrängt, ihrer Familie zu schreiben und ihnen zu sagen, dass sie nach Hause kommen würde, und zwar mit ihrem Sohn. Ich habe den Brief persönlich auf die Post gebracht.«
Als der Link auf ihrem Schreibtisch schrillte, zuckte sie zusammen, als risse das Geräusch sie aus einem
Traum. Sie atmete hörbar ein, ging aber nicht an den Apparat, sondern fuhr mit ihrer Rede fort.
»Ich habe sie dazu gedrängt. Ich habe sie zu sehr bedrängt, weil ich so furchtbar clever war. Weil ich die Überzeugung hatte, dass das, was ich ihr riet, das einzig Richtige war. Am nächsten Tag war sie aus dem Frauenhaus verschwunden und hatte mir nur eine Nachricht hinterlassen, dass sie nicht einfach fortlaufen und einem Mann den Sohn wegnehmen könnte, ohne ihm die Chance zu
Weitere Kostenlose Bücher