Der Hauch Des Bösen: Roman
geben, das Richtige zu tun. Ihr Sohn sollte einen Vater haben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich war stinkwütend. Ich hatte all die Zeit und all meine Bemühungen vergeudet, weil sich dieses Mädchen weiter an diesen romantischen Irrsinn klammerte. Ich habe tagelang darüber nachgegrübelt, und je länger ich gegrübelt habe, umso größer wurde meine Wut. Ich beschloss, abermals die Vorschriften zu ignorieren und zu ihr zu fahren, um noch mal mit ihr zu reden. Ich wollte sie retten, wissen Sie, sie und diesen wunderschönen kleinen Jungen, auch wenn ihr das nicht gefiel. Also habe ich meine Selbstgerechtigkeit und meine hochfliegenden Prinzipien in den Slum getragen, in dem er sie gefangen hielt, und habe dort an die Tür geklopft.«
Plötzlich blitzten ein paar Bilder und Gerüche aus seiner Kindheit auf. Der Gestank von erbrochenem Bier und von Urin in den dunklen Gassen, das Klatschen eines Handrückens auf einer Wange. Die Atmosphäre bösartiger Verzweiflung. »Wenn Sie wirklich noch mal dorthin gegangen sind, waren Sie entweder unglaublich mutig oder unglaublich dumm.«
»Ich war wahrscheinlich beides. Ich hätte für mein
Vorgehen gefeuert werden können, das hätte ich auf jeden Fall verdient. Aber das war mir egal, denn es ging um meinen Stolz. Meinen verdammten Stolz.«
»Also ging es Ihnen in Wirklichkeit gar nicht um sie?«
Seine kühle, leicht amüsierte Stimme ließ sie zusammenzucken, doch sie gab unumwunden zu: »Natürlich wollte ich Sie beide retten, aber ja, es ging mir auch um meinen Stolz. Eins von beidem war mir nicht genug.«
»In jener Zeit wurden an jenem Ort nur sehr wenige gerettet. Und Stolz war für die meisten von uns zu teuer, als dass wir ihn uns täglich hätten leisten können.«
»Das ist mir inzwischen klar geworden. Und die erste bittere Lektion hat mir die Geschichte mit Siobahn erteilt. Ich hatte den Antwortbrief von ihren Eltern in der Tasche, und ich hatte den festen Vorsatz, Sie beide aus dem Haus zu holen und in den nächsten Zug zu setzen, der in ihre Heimat fuhr.«
Vor der Bürotür erklang das helle Lachen eines Kindes, und dann lief jemand mit schnellen Schritten den Korridor hinab. Ein paar hektische Frauenstimmen folgten, schließlich aber kehrte wieder Stille ein.
Sie nahm erneut Platz und faltete wie ein Schulmädchen die Hände. »Er hat mir selber aufgemacht, und ich konnte sofort sehen, weshalb sie seinem Charme erlegen war. Er war wirklich teuflisch attraktiv. Er hat mich frech gemustert, und ich habe den Kopf gereckt und ihm erklärt, dass ich mit Siobahn sprechen will.«
Sie schloss kurz die Augen und rief sich die Situation genauer in Erinnerung. »Er hat im Türrahmen gelehnt
und mich feixend angesehen. Meinte, sie wäre weggelaufen und käme sicher nicht mehr zurück. Hätte fünfzig Pfund seines hart verdienten Geldes geklaut und sich damit verdrückt. Wenn ich sie irgendwo sehen würde, sollte ich ihr von ihm ausrichten, dass sie immer schön weiterlaufen soll.
Er hat mühelos und perfekt gelogen, und ich habe ihm geglaubt. Ich dachte, dass sie doch noch zur Vernunft gekommen und zu ihrer Familie zurückgefahren wäre. Dann aber hörte ich plötzlich das Baby schreien, hörte also Sie schreien und habe mir einen Weg an ihm vorbei gebahnt. Ich habe ihn anscheinend völlig überrascht, sonst hätte ich das nie geschafft. ›Sie würde nie ihr Baby bei Ihnen lassen‹, habe ich gesagt. ›Also, wo ist sie? Was haben Sie mit Siobahn gemacht?‹«
Sie faltete die Hände wieder auseinander, ballte eine Hand zur Faust und trommelte damit verzweifelt auf ihr Knie. »Eine Frau kam aus dem Schlafzimmer, die Sie so unachtsam wie einen Kohlkopf unter dem linken Arm hielt. Ihre Windel war klitschnass, Ihr Gesicht völlig verdreckt. Siobahn hat Sie verhätschelt, als wären Sie ein kleiner Prinz. Sie hätte Sie niemals derart verkommen lassen. Aber dieses Weib war betrunken und trug selbst nur einen Bademantel, der vorne offen stand. ›Das ist meine Frau‹, hat er mir dreist erklärt. ›Das ist Meg Roarke, und das, was sie im Arm hält, ist ihr Balg.‹ Damit zog er ein Messer aus dem Gürtel und sah mir, während er mit seinem Daumen über die Klinge strich, starr ins Gesicht. ›Und jeder, der was anderes behauptet‹, meinte er, ›wird danach Probleme haben, überhaupt noch was zu sagen. Habe ich mich verständlich ausgedrückt, Moira?‹«
Es war deutlich zu erkennen, dass die Erinnerung an dieses Treffen ihr noch mehr als drei Jahrzehnte
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