Der Hauch von Skandal (German Edition)
Alex, der seit mehr als sieben Jahren kein festes Heim hatte und sich auch nicht nach einem gesehnt hatte, blieb wie angewurzelt stehen. Sich in einem solchen Raum zu entspannen, sich ein Buch aus einem der Regale zu nehmen und sich einen Brandy aus der Karaffe einzuschenken, in einem der üppigen Sessel am Kamin zu versinken … All das kam ihm auf einmal äußerst verlockend vor.
Nun, vielleicht doch nicht …
Das Verlockendste war sicherlich die Frau, die an einem der hohen Fenster stand. Die Sonne zauberte goldene und kupferrote Reflexe in ihr üppiges kastanienbraunes Haar. Ihr Gesicht war oval; ihre blauvioletten Augen standen weit auseinander über einer kleinen geraden Nase und einem beinahe unschicklich sinnlichen Mund. Sie war nicht schön im landläufigen Sinn; dazu war sie zu groß, zu schlank, zu kantig und ihr Gesicht zu auffallend, aber das spielte nicht die geringste Rolle. In ihrem kirschroten Tageskleid mit einem farblich passenden Haarband war sie einfach atemberaubend. Nein, keine Spur von Trauerkleidung, nicht einmal das sittsame Lavendelblau der Halbtrauer, da war nur vibrierende Lebensfreude.
Alex konnte gerade noch registrieren, wie reizvoll sie war und wie dieser Reiz etwas tief in seinem Innern ansprach, da hatte sie ihn schon entdeckt und eilte quer durch das Zimmer auf ihn zu.
„Liebling! Wo warst du nur? Ich warte schon seit Stunden auf dich!“ Sie warf sich in seine Arme. „War wieder so viel Verkehr am Piccadilly?“
Sie fühlte sich warm und nachgiebig in seinen Armen an, als wäre sie eigens für ihn geschaffen worden. Das Gefühl der Vertrautheit traf ihn wie ein Schock. Sie duftete nach Sommerblumen. Einen kurzen Moment lang hielt sie ihm ihr Gesicht zugewandt; in ihren großen violetten Augen standen Furcht – ausgerechnet! – und eine stumme Bitte. Dann legte sie ihm eine Hand in den Nacken und küsste ihn auf den Mund, als meinte sie es wirklich, wirklich ernst.
Es war erstaunlich und von der ersten Sekunde an erregend. Alex’ Körper reagierte sofort auf die Verführung, die von ihren Lippen ausging, so kühl, so weich und so verlockend. Bei nüchterner Betrachtung wäre ihm vielleicht der Gedanke gekommen, dass dieser Kuss seiner zweijährigen Enthaltsamkeit ein überaus stürmisches Ende setzte, aber in diesem Augenblick konnte er nur ihren Körper an seinem spüren und das grenzenlose Verlangen, auf der Stelle mit ihr ins Bett zu gehen – bevorzugt in ihres, da es höchstwahrscheinlich näher lag als sein eigenes.
Hitze durchströmte seinen Körper, hell aufloderndes Begehren. Doch da löste Lady Joanna sich bereits wieder aus seinen Armen und ließ ihn zurück mit der Verheißung des Paradieses und einer ziemlich unangenehmen Erregung. Eine Sekunde lang ruhte ihr Blick auf seinen Lippen, und er hätte beinahe laut aufgestöhnt. Ihre violetten Augen blitzten vor Übermut auf, als sie den Blick tiefer wandern ließ.
„Liebling, du freust dich ja tatsächlich , mich zu sehen!“
Sie nannte ihn Liebling, weil sie keine Ahnung hatte, wer er war, wie Alex plötzlich begriff. Um die verräterische Reaktion seines Körpers zu verbergen, suchte er Zuflucht hinter einem Schreibtisch aus Rosenholz, auf dem sich Bücher stapelten. Lächelnd nahm er ihre Herausforderung an. Wenn sie sich skandalös benehmen konnte, würde er ihr in nichts nachstehen. Das zumindest hatte sie verdient, weil sie ihn benutzt hatte, ohne ihn zu kennen und das Geringste für ihn zu empfinden.
„Wer würde das nicht, Liebste?“, antwortete er. „Gewiss ist meine Ungeduld nur allzu verzeihlich. Mir ist, als hätte ich dein Bett schon vor Tagen verlassen und nicht erst vor wenigen Stunden …“ Er ignorierte ihr hörbares Ringen nach Luft und wandte sich dem dritten Anwesenden im Zimmer zu, einem ziemlich rotgesichtigen Mann mittleren Alters, der die Szene aus hervortretenden Augen und offenen Mundes verfolgt hatte. „Ich habe bedauerlicherweise Ihren Namen nicht mitbekommen, Sir“, meinte Alex gedehnt, „aber ich fürchte, für Ihre Liebeserklärung ist es ein wenig zu spät. Lady Joanna und ich …“ Er ließ den Satz unvollendet und bedeutungsschwer im Raum stehen.
„Liebling!“ Joannas Stimme klang vorwurfsvoll, doch Alex hörte auch einen deutlich verärgerten Unterton heraus. „Es gehört sich nicht für einen Gentleman, unsere Beziehung publik zu machen.“
Alex trat zu ihr, nahm ihre Hand und küsste die Innenseite des Handgelenks. „Verzeih mir“, murmelte er, „ich
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