Der Hauch von Skandal (German Edition)
keinen Unterschied zwischen dem, was sie vorhatte, und den vielen Zweckehen, bei denen eiskalt über Geld und Ländereien verhandelt wurde. „Nun“, sagte sie, um Zeit zu gewinnen, „wenn ich Lord Grant das Ganze als ein Geschäft vorschlage – dass ich allein für Ninas Wohlergehen sorge und vielleicht noch anbiete, seine junge Cousine Chessie eine Saison lang unter meine Fittiche zu nehmen, damit er frei von allen familiären Verpflichtungen ist …“
„Das entspricht trotzdem nicht meiner Idealvorstellung von einer Ehe“, protestierte Merryn.
Joanna lachte. „Ich hoffe, du gehst nie eine Ehe ein, in der du plötzlich feststellst, dass es umso besser ist, je weniger du deinen Mann zu Gesicht bekommst.“
Merryn verzog zweifelnd den Mund. „Vermutlich wird Lord Grant sich überreden lassen, uns zu helfen. Er ist kein reicher Mann, aber wir könnten ein einfaches Leben führen, vielleicht in einem kleinen Dorf irgendwo auf dem Land …“ Sie verstummte. „Aber das würde dir wahrscheinlich nicht gefallen“, vollendete sie ihren Satz ein wenig bekümmert.
„Ich würde es schrecklich finden“, gab Joanna offen zu. „Du weißt, dass ich das Landleben hasse. Ich finde es langweilig, öde und schmutzig.“ Sie dachte zurück an die endlosen, eintönigen Stunden im ländlichen Pfarrhaus ihres Onkels, wo man nur am stündlichen Schlagen der Standuhr gemerkt hatte, dass die Zeit verging. Diese bedrückende Langeweile war einer der Gründe gewesen, warum sie sich David Ware buchstäblich in die Arme geworfen hatte, als sie ihn auf einem Fest im Dorf kennengelernt hatte. Im Vergleich zu ihrem eigenen trübseligen Dasein hatte er so lebendig und schneidig gewirkt. Das war er auch gewesen, allerdings hatte er sich später als schrecklicher Mensch erwiesen – und ihre anfängliche Begeisterung für ihn als entsetzliche Fehleinschätzung. Sie wollte jedoch nicht an das Desaster ihrer ersten Ehe denken. Dieses Mal würde sie mit offenen Augen in die Ehe gehen und Alex heiraten, um alles abzusichern, was ihr wichtig war.
„Mir hat es Spaß gemacht, auf dem Land aufzuwachsen“, sagte Merryn. „Dort ging es viel freundlicher zu als in London. Überall gab es Plätze zum Spielen, aber auch ruhige Ecken, in denen ich lesen konnte.“
Joanna lächelte, um ihren Worten die Spitze zu nehmen. „Manchmal glaube ich, dass du an einem ganz anderen Ort groß geworden bist als ich.“
„Du hast auch nie gelesen“, bemerkte Merryn.
„Nein, das fand ich langweilig.“
„Und du hast auch nie draußen gespielt und bist auf Entdeckungsreisen gegangen …“
„Weil ich meine Kleider nicht ruinieren wollte.“
„Daher ist es nicht weiter überraschend, dass du London vorziehst, wo dir die ganze Zeit Unterhaltung geboten wird.“ Merryn sah auf die Uhr und stand auf.
„Gehst du heute Abend aus?“, wollte Joanna wissen.
Für den Bruchteil einer Sekunde sah Merryn fast ein wenig schuldbewusst aus, dann schüttelte sie den Kopf. „Es ist schon zehn Uhr, Jo. Du weißt, ich richte mich immer noch nach den Zeiten auf dem Land. Nein, ich gehe zu Bett.“
„Dann gute Nacht“, wünschte Joanna und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Schickst du Drury bitte zu mir? Ich brauche ihre Hilfe beim Ankleiden.“
Merryn zog die Tür hinter sich ins Schloss, und Joanna betrachtete sich eine Weile nachdenklich im Spiegel. Würde sie es wirklich wagen? An jenem Abend im Boxverein hatte sie Alex gesagt, ihr Ruf wäre ihr nicht gleichgültig. Das musste stimmen, denn sonst würde sie jetzt nicht hier sitzen und sich den Kopf über ihr Vorhaben zerbrechen. Das Ganze wäre ein Geschäft, ihre freie Entscheidung, die ihr das bringen würde, was sie sich am meisten wünschte. Es würde ganz anders sein als Davids lieblose, grausame Forderungen an sie. Sie schloss kurz die Augen. Besser, sie dachte nicht an David, wenn sie vorhatte, seinen besten Freund zu verführen.
Sie ging zu ihrem Kleiderschrank und betrachtete die vielen Abendkleider, die darin hingen. Die rote Seide war zu übertrieben, Goldbrokat zu förmlich. Und der violette Samt war eindeutig nicht mehr in Mode.
Anderthalb Stunden später trug sie das Abendkleid aus silberfarbener Gaze, das ihr am allerbesten stand. Joanna fand, darin sah sie über alle Maßen mondän aus. Der zarte Stoff betonte ihre Hüften und schmiegte sich schmeichelhaft an ihre Rundungen. Wenn sie sich bewegte, raschelte das Kleid leise und schimmerte in allen Schattierungen von Silber. Es war das
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