Der Hauch von Skandal (German Edition)
die Straße geworfen werden. Auch konnte sie nicht als Gouvernante oder gar Bedienstete leben. Wieder schauderte sie, dieses Mal aus einem anderen Grund. Natürlich konnte sie keine Gouvernante werden, dazu fehlte ihr die nötige Bildung, und mit körperlicher Arbeit wollte sie sich ihren Lebensunterhalt nicht verdienen. Ihr war klar, das klang oberflächlich, aber wenigstens war sie ehrlich.
Tief in ihrem Innern wusste sie, dass sie Nina niemals zu sich nehmen konnte, wenn sie ihr kein sicheres Zuhause zu bieten hatte. Das war die Wahrheit, die sie bis ins Mark traf; das wäre der allergrößte Verlust, über den sie nie hinwegkommen würde.
Hagan keuchte inzwischen so laut, dass sie befürchtete, er könnte einen Anfall erleiden. Sie spürte seine feuchten Lippen auf ihrer Brust. O ja, das war ein sehr hoher Preis, den sie zahlen musste, wenn sie all das behalten wollte, was ihr so viel bedeutete. Sie hatte in ihrem Leben bisher nur mit einem Mann geschlafen, und sie hatte nicht gewollt, dass der zweite John Hagan sein würde. Sie hatte …
Sie hatte Alex gewollt.
Diese Erkenntnis traf sie urplötzlich und mit aller Macht. Sie konnte sich gut vorstellen, was Alex sagen würde, wenn er sie jetzt sehen könnte. Sie hörte förmlich seine anklagenden Worte, spürte seine abgrundtiefe Verachtung für ihr unmoralisches Benehmen. Alex war stark. Er würde niemals solche Kompromisse machen wie sie in ihrer Verzweiflung.
Ihre nächste Erkenntnis war womöglich noch atemberaubender. Sie würde Alex um Schutz bitten, für sich und Nina. Er hatte sie überredet, sein Angebot anzunehmen, sie nach Spitzbergen zu begleiten. Nun würde sie sein Angebot noch übertrumpfen mit einem eigenen, weitaus gewagteren. Sie würde ihn bitten, sie zu heiraten. Das würde sie vor Hagans Boshaftigkeit schützen und gleichzeitig Nina ein sicheres Zuhause bieten. Es war ihre einzige Hoffnung, denn wenn sie John Hagan jetzt zurückwies, würde er alles tun, um sie zu vernichten.
Sie entwand sich Hagans Griff und raffte ihren Morgenrock um sich. „„Es tut mir leid, Cousin John“, sagte sie. „Ich kann das nicht.“
Hagan stieß einen frustrierten Schrei aus. „O doch, du kannst, du kleines Flittchen! Du entkommst mir jetzt nicht mehr!“
Joanna packte die Vase auf dem Nachttisch und schlug sie ihm über den Kopf. Die Vase zerbrach, und Hagan taumelte wie ein verwundetes Tier. Dabei gab er Flüche von sich, die Joanna noch nie zuvor vernommen hatte, obwohl sie neun Jahre lang mit einem Seemann verheiratet gewesen war.
Die Schlafzimmertür flog auf. Merryn stand auf der Schwelle und hielt eine weitere blaue Porzellanvase mit einem Delfinmuster in den Händen. Merryns Gesichtsausdruck war so kämpferisch, dass Joanna beinahe erschrak.
„Zerbrich die nicht auch noch!“, rief sie und band ihren Morgenrock zusammen, während Hagan an Merryn vorbeieilte und verschwand. „Ich habe bereits eine Vase aus Worcesterporzellan zerbrochen, und die war entsetzlich teuer.“ Kopfschüttelnd betrachtete sie die Scherben auf dem Fußboden. „Was für ein Jammer!“
„Drury sagte mir, Hagan wäre einfach in dein Zimmer gestürzt und hätte so ausgesehen, als wollte er dir Gewalt antun oder dich sogar ermorden“, erklärte Merryn und ließ die Hände mit der Vase sinken. Ihr Blick fiel auf Joannas zerzaustes Haar und den zerknitterten Morgenrock. „Ich hoffe, ich bin nicht zu spät gekommen“, fügte sie hinzu.
„Ganz und gar nicht“, erwiderte Johanna. „Wie du siehst, lebe ich noch, und er wollte mir im Grunde auch nicht Gewalt antun.“ Sie zögerte. „Nun ja, vielleicht doch. Er schlug mir ein … Abkommen vor, aber im letzten Moment konnte ich mich nicht dazu aufraffen und ich fürchte, meine Weigerung hat ihn etwas wütend gemacht.“
„Ein Abkommen?“ Merryn verzog das Gesicht. „So nennst du das?“ Sie stellte die Vase vorsichtig auf den Frisiertisch. „Deine Tugend ist doch wohl wertvoller als ein Stück Porzellan.“
Joanna lachte. „Ich bin mir nicht ganz sicher. Diesen Vergleich musste ich noch nie ziehen. Es kommt ganz darauf an, was man will, und ich hänge sehr an meiner Porzellansammlung.“ Sie sah Merryns Gesichtsausdruck. „Ich weiß, du hältst mich für oberflächlich.“
„Nein“, widersprach Merryn. „Ich glaube, du beschönigst das Ganze, weil du mich nicht erschrecken willst. Für mich klingt es so, als hätte Mr Hagan versucht, dich zu zwingen, mit ihm zu schlafen, dieser unerträgliche
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