Der Hauch von Skandal (German Edition)
für einen Schrank hielt.
„Hier sollen wir zu zweit unterkommen?“, fragte sie ungläubig. „Die Kajüte ist kleiner als einer meiner Kleiderschränke zu Hause!“
„Das überrascht mich nicht“, stellte Alex fest.
„Und die Koje sieht aus wie ein Sarg“, beklagte sie sich. Sie sah, wie Resignation sich in Alex’ Züge eingrub. Er hatte prophezeit, dass diese Reise nichts für sie sein würde, und sie erkannte, dass sie seine Vorurteile bestätigte, noch ehe sie überhaupt in See gestochen waren.
„Sei froh, dass du nicht in einer Hängematte schlafen musst wie die meisten anderen an Bord“, hatte er ihr kühl mitgeteilt und sie allein gelassen.
Was Joanna betraf, so war das die bisherige Krönung der Reise gewesen.
Sie vermisste Merryn, die es vorgezogen hatte, bei ihrer Blaustrumpf-Freundin Miss Drayton in London zu bleiben. Als Abschiedsgeschenk hatte Merryn ihr Abschriften von Dr. von Buchs Reisememoiren und Constantine Phipps’ Bericht von seiner Nordpolreise von 1774 mitgegeben. „Sie sind wahnsinnig interessant“, hatte sie ernsthaft versichert. „Ich weiß, sie werden dir gefallen.“
„Ganz bestimmt“, hatte Joanna erwidert und die Bücher ganz unten in ihrer Truhe verstaut.
Kurz nach Beginn der Fahrt hatte Lottie sie besucht. Sie hatte frisch und munter ausgesehen und geschwärmt, wie reizend Captain Purchase wäre, wie komfortabel ihre Unterkunft und was für eine herrliche Zeit sie an Bord hätte. Joanna hatte sich gefragt, ob sie sich beide auf demselben Schiff befanden.
„Du hast die Shetlandinseln verpasst“, sagte Lottie, „aber ehrlich gesagt hast du nicht viel versäumt. Sie sahen trostlos aus, und es hat geregnet. Im Sturm haben wir übrigens auch Captain Hallows’ Schiff aus den Augen verloren, obwohl Captain Purchase sicher ist, dass er uns wieder einholen wird.“ Ihre Miene hellte sich auf. „Das wahre Vergnügen auf dieser Reise ist für mich allerdings die Gesellschaft so vieler gut aussehender junger Offiziere. Da hat man wirklich die Qual der Wahl.“ Sie sah Joanna kritisch an. „Ein Glück, dass sie mich ablenken, denn du wirst langsam furchtbar langweilig, meine Liebe, weil du nur hier unten im Dunklen liegst. Könntest du dich nicht etwas zusammennehmen, liebste Jo? Ich bin mir sicher, du bildest dir diese Seekrankheit nur ein!“
In dem Moment hatte Joanna nach dem Eimer gegriffen, und Lottie war mit einem spitzen Aufschrei geflüchtet und seither nicht zurückgekommen. Tatsächlich war Max der Einzige, der ihr während der Reise treu Gesellschaft leistete. Er lag zusammengerollt in der Koje, leise schnarchend und von allem unberührt. Damit bestätigte er wieder einmal, dass Hunde unkomplizierter und verlässlicher waren als jeder Mensch.
Joanna schlug die Augen auf und starrte auf die Petroleumlampe, die an einer Kette von der hölzernen Kajütendecke herabhing und im Rhythmus der Wellen hin und her schwang. Sprenkel von Sonnenlicht tanzten auf den Holzwänden. Plötzlich wollte sie nicht länger in der stickigen dunklen Kajüte liegen, sondern nach draußen an die frische Luft gehen. Sie war es leid, sich ständig krank zu fühlen.
Es klopfte an der Kajütentür. Joanna drehte sich um, und ihr Magen reagierte auf die Bewegung prompt mit der mittlerweile vertrauten Übelkeit. Sie hoffte nur, dass das nicht Lottie war, die ihr etwas von ihrer neuesten Eroberung in der Mannschaft vorplappern wollte.
„Du hast mir zwar nicht erlaubt einzutreten, aber ich tue es trotzdem.“
Alex.
Ihr erstes Gefühl war eine merkwürdige Befangenheit, ihn wiederzusehen, als wäre ein Fremder in ihr Schlafzimmer eingedrungen. Das zweite war blankes Entsetzen. Sie hatte sich seit zwei Tagen nicht gewaschen – oder waren es sogar drei? Ihr Nachthemd war fleckig, ihr Haar verfilzt, und wahrscheinlich roch sie nicht angenehm. Nicht wahrscheinlich, ganz sicher sogar.
„Ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht hereinkommen.“ Ihre Stimme klang wie ein Krächzen. „Ich sehe schrecklich aus, so darf mich niemand sehen.“
Er lachte. Zum Teufel mit ihm. „Ja, das stimmt allerdings, du siehst schlimm aus. Ehrlich gesagt, ich hätte nicht gedacht, dass du so aussehen kannst.“
Joanna blinzelte ihn missgelaunt an. Im Gegensatz zu ihr sah er äußerst gut aus, gesund, lebendig, mit vom Wind geröteten Wangen und zerzaustem dunklem Haar. Mit sich brachte er den Duft von Meer, frischer Luft, Sonne und Salz. Sie verbarg das Gesicht in ihrem Kopfkissen. „Du hättest auch
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