Der Hauptmann von Koepenick
Sie hat im Plappern das Putzzeug weggeräumt, jetzt hört man die Stimme wieder – ja, ja, jetzt komm ick ja, se mechte nie allein bleiben, denn kriegtse’s mit der Angst, ’n Augenblick, Willem … Ab.
VOIGT
bleibt zuerst still sitzen, dann steht er auf, legt Hut und Paket auf den Stuhl, geht zum Schrank, besieht sich genau die dort hängende Uniform. Er studiert die Achselklappen, spricht halblaut vor sich hin Einundzwanziger-Leibgrenadiere. Mhm. Allerhand. Er betrachtet den Helm, der an einem Haken hängt Infantriehelm. Mhm. Er tastet danach, als wolle er ihn herunternehmen. In diesem Augenblick beginnt eine Wanduhr sechs zu schlagen, mit einem dünnen hellen Ton, der durch ein sonderbar leises Rasseln unterbrochen wird. Voigt fährt herum, macht einige zögernde Schritte auf die Uhr zu Det is doch – det is ja die olle Uhr –! Nee, so was. Er bleibt stehen, starrt die Uhr an. Inzwischen hört man das Geräusch eines Korridorschlüssels, das Klappen einer Tür, dann tritt …
HOPRECHT
ins Zimmer. Er ist jünger als Voigt, von breiter kräftiger Gestalt, mit klarem, starkem Gesicht. Einfach gekleidet.
VOIGT
sieht immer noch die Uhr an. Dann dreht er sich langsam um Guten Tach, Herr Hoprecht …
HOPRECHT
Guten Tag. Wer sind Sie denn?
VOIGT
Ick bin nämlich Ihr Schwager. Der Wilhelm Voigt.
HOPRECHT
Ach so. Er überlegt einen kurzen Augenblick, dann geht er auf Voigt zu, gibt ihm die Hand Das freut mich. Das is recht von dir, daß du mal herkommst. Komm, setz dich. Wo ist denn Marie?
VOIGT
Det kranke Mädchen hat grade jerufen, da is se mal hinter.
HOPRECHT
Aha. Biste schon lang hier?
VOIGT
Nee, seit ne halbe Stunde. Ick wollte ja nur mal …
HOPRECHT
Da sind ja noch deine Sachen. Die tu ich mal raus.
VOIGT
Ick wollte nu wieder gehn.
HOPRECHT
Das gibt’s nich. Wir müssen uns doch mal kennenlernen. Oder haste keine Zeit?
VOIGT
Zeit hab ick jenuch.
HOPRECHT
Na also. Setz dich man ruhig. Du bleibst übern Abend, das is doch klar.
VOIGT
Ick weiß aber nicht, ob det geht. Ich mechte nich stören.
HOPRECHT
Unsinn! Erlaub mal, aber da hab ich doch recht, nich? Er hängt Voigts Sachen vor die Tür, kommt zurück, sieht Voigt an Ich will dir was sagen. Ich mach nämlich kein langen Summs, das kann ich nicht. Du bist der Bruder von meiner Frau, da gehörste auch zu mir. Hier biste willkommen.
VOIGT
Das is ’n Wort. Ich dank dir.
HOPRECHT
Nischt zu danken. Sie setzen sich Wie geht’s dir denn jetzt, Wilhelm?
VOIGT
Na, et jeht. Et muß erst wieder anfangen. Ick war jetzt zehn Jahre aus de Welt, weißte …
HOPRECHT
Das weiß ich. Seit wann biste raus?
VOIGT
Seit heute morjn erst. Ick wußte nu jarnich wohin. Man kennt sich jar nirjends mehr aus nach so lange.
HOPRECHT
Haste denn gar keine Bekannten mehr?
VOIGT
Nee. Ick war ja früher schon mal fuffzehn Jahre drinnen, dazwischen nochmal anderthalb in Moabit, und sonst war ick ins Ausland. Ick kenne nur Leite von drinnen, weeßte, und die, die mecht ick nu lieber nich mehr kennen, weeßte.
HOPRECHT
Jawohl, das versteh ich. Is auch in Ordnung, Wilhelm. Du wirst nu, wenn ick mal prophezeien darf, ganz von vorne anfangen, nich? Der Mensch kann immer wieder ganz von vorne anfangen, da is man nie zu alt für.
VOIGT
Ja, det wär schon gut.
HOPRECHT
Det is gut, Wilhelm. Da wern wir dir mal ’n bißken unter de Achseln fassen. Det wird schon werden.
VOIGT
Ick hoffe auch. Wennse mir man lassen.
HOPRECHT
Arbeit wirste schon finden. Heut sinse nich mehr so.
VOIGT
Det kann sein. Aber ick meine de Behörden. Wegen ’n Aufenthalt.
HOPRECHT
Das is alles halb so wild. Sin doch keene Kannibalen! Ick bin ja selbst son Stückchen Behörde, na und? Wenn man jenau hinkuckt, is auch ’n Mensch, was? Lacht.
VOIGT
mitlachend Vor dir ha’ck ’n mächtjen Bammel jehabt, kann’ck dir sagen.
HOPRECHT
Sag mal, haste denn schon Quartier?
VOIGT
Nee. Aber ick hab’n bißken Geld, ick hab ja Spezialarbeet jemacht. In de Penne brauch ick noch nich.
HOPRECHT
Spar mal dein Geld, wirste froh für sein. Jetzt bleibste zuerst mal hier, bis daß de ne Anstellung hast.
VOIGT
Nee, Friedrich, det mach ick nich. Det kann ick nich annehmen.
HOPRECHT
So, kannste nich? Mußte aber. Das is Regimentsbefehl, verstehste? Da gibt’s keine Widerrede. Wenn de denkst, du willst das nich umsonst annehmen, da kannste ja meiner Frau mal ins Jeschäft zur Hand gehn, bis de was andres hast.
VOIGT
Dafier bin ick nich raufjekommen, wirklich nich. Ick wollte nur mal wieder ’n
Weitere Kostenlose Bücher