Der Hausflug
„Mehr nach links, noch mehr, jetzt geradeaus…“ Villa dirigierte ihn bis vor die Tür, dann machte sie sich für einen klitzekleinen Augenblick sichtbar, damit Jonas in das Haus schlüpfen konnte.
„Das wäre fast schiefgegangen“, sagte er, „ein Glück, daß ich mein Geld bei mir hatte.“
„Was ist das, Geld?“ erkundigte sich Villa. Wie soll man einem Haus erklären, was Geld ist?
„Wenn ich etwas haben will“, sagte Jonas, „zum Beispiel Brot, dann muß ich in einen Laden gehen, verstehst du?“
„Ja, das verstehe ich.“
„Und ich muß Geld für das Brot geben, kleine Scheine aus Papier oder runde Scheiben aus Metall…“
„Ach, das“, sagte Villa, „davon habe ich schon gehört. Ich wußte nur nicht, daß es bei euch Menschen noch Geld gibt, daß ihr…“
Villa verstummte mitten im Satz.
„Daß wir was?“ fragte Jonas.
„Nichts. Können wir fliegen?“
„Ich weiß nicht“, sagte Jonas. „Bitte, lach mich nicht aus, aber ich habe Angst bekommen. Wenn wir nun abstürzen?“
„Das ist unmöglich. Glaube mir.“
„Ich möchte dir ja glauben, aber…“
„Ich werde es dir beweisen. Setz dich und halte dich fest.“
Das Haus schoß in die Luft. Zwanzig, dreißig, vierzig Meter, dann stürzte es ab. Jonas schnappte verzweifelt nach Luft, da wurde der Sturz abgefangen, etwa einen Meter über dem Boden. Gleich darauf rasten sie auf das Kaufhaus zu. Jonas klammerte sich an den Stuhl. Im nächsten Augenblick mußten sie zerschellen. Kurz vor der Betonwand wurde die Fahrt gebremst, so heftig, daß Jonas mit dem Kopf gegen das Fensterkreuz knallte.
„Überzeugt?“ fragte Villa. Jonas stieß die Luft aus und rieb sich die schmerzende Stirn.
„Sehr überzeugend“, knurrte er.
„Und das funktioniert immer“, sagte Villa, „ob ich nun will oder nicht. Es ist…“
„Ich verstehe“, sagte Jonas. „Wie im Fahrstuhl. Ein automatisches Sicherheitssystem. Also gut. Auf nach Afrika.“
„Es ist ziemlich weit bis Afrika, nicht wahr?“
„Ja. Ein paar tausend Kilometer. Und ich will nicht nur die Wüste sehen. Wir müssen über die Sahara hinweg, bevor wir zu den Steppen und den Regenwäldern kommen.“
„Ich fürchte, das schaffen wir nicht bis zum Abend“, sagte Villa. „Mußt du unbedingt heute wieder zu Hause sein?“
„Ja, unbedingt.“
„Dann laß uns woanders hinfliegen.“
Jonas sah zur Uhr. Gleich Mittag. Villa hatte bestimmt recht. Heute schafften sie es nicht mehr bis Afrika. Aber wohin sonst? Es mußte schon etwas Besonderes sein, etwas, das er sonst nie mit eigenen Augen zu sehen bekam.
Die Insel. Gestern abend hatten sie im Fernsehen die Geburt einer Insel gezeigt, die vor Island aus dem Meer wuchs, unheimlich aufregende, schöne Aufnahmen.
„Schaffen wir es bis Island?“ fragte er.
„Wo liegt das?“
„Im Norden. Hinter England. Mitten im Meer.“ Jonas brach ab, ließ die Hände hilflos in den Schoß sinken. Beschreib mal einem Haus, wo Island liegt!
„Kannst du mir den Weg zeigen?“ fragte Villa.
Jonas sah sich um. Nirgends ein Atlas, nicht einmal eine Autokarte.
„Vielleicht kannst du es aufzeichnen“, schlug Villa vor.
Jonas nahm sich Papier und Bleistift und versuchte, eine Karte von Europa und dem nördlichen Atlantik zu zeichnen. Er verbrauchte ein halbes Dutzend Blätter, fluchte leise vor sich hin; daß er sich nie so recht für Geographie interessiert hatte!
„Ich weiß nicht genau, wo Island liegt“, bekannte er.
„Kannst du im Kaufhaus eine Karte bekommen?“ erkundigte sich Villa.
„Bestimmt. Oder einen Globus.“
„Was ist ein Globus?“
„Eine Kugel, eine verkleinerte Erde.“
„Das wäre das Allerbeste“, sagte Villa.
Jonas staunte, wie teuer so ein Globus war. Es gab prächtige Exemplare, sogar mit eingebauter Beleuchtung. Ein ganzes Regal voll, doch er konnte sich nur den kleinsten leisten, nicht einmal so groß wie ein Fußball – ob der reichte?
Villa bat ihn, den Globus auf den Tisch zu stellen und langsam zu drehen. Dann mußte Jonas zeigen, wo sie sich jetzt befanden und wo Island lag.
„Gut“, sagte Villa, „ich weiß Bescheid. Auf geht’s!“
„Nein, warte“, rief Jonas. Der Kanister war ja noch leer. Auch wenn sie nicht nach Afrika flogen, trinken mußte man selbst über dem Eismeer.
Gleich neben dem Parkplatz war eine kleine Tankstelle. Jonas entdeckte einen Wasserhahn an der Wand, stellte seinen Kanister darunter und ließ ihn vollaufen. Der Tankwart sah mißtrauisch zu ihm
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