Der Hausflug
herüber, aber er war noch mit einem Auto beschäftigt. Als er abkassierte und das Geld wegsteckte, nahm Jonas schnell seinen Kanister und machte, daß er wegkam. Am Ende sollte er noch das Wasser bezahlen.
„Eh du!“ rief der Tankwart ihm nach. Jonas tat, als habe er es nicht gehört. Er blickte sich erst um, als er schon durch den Zaun gekrochen war. Der Tankwart stand immer noch da und sah ihm nach. Na warte, dachte Jonas vergnügt, gleich wirst du etwas zu sehen bekommen, was du nie im Leben vergessen wirst, die sensationellste Zaubernummer der Welt: spurloses Verschwinden eines Jungen am hellen Tag.
Jonas ließ sich von Villa zur Tür bugsieren, trat rückwärts ein und erlebte den Augenblick, da er unsichtbar wurde, an der Reaktion des Tankwarts, der den Mund weit aufmachte, dann beide Hände zusammenschlug, als habe er soeben ein Wunder erlebt. Aber war es das nicht auch?
Das fünfte
Frühstück im Himmel
Roter Teppich für den Helden Erfindung einer Windhose
Frühstück im Himmel. Über dicken Kullerwolken, die tief unten dahinzogen, nein, rasten. Wie Schafherden, die von unsichtbaren Himmelhunden zusammengehalten und angetrieben wurden. Oder war es das Haus, das so raste?
Jonas hatte keine Ahnung, wie schnell sie flogen, auch keinen Anhaltspunkt mehr, seit sie das Land hinter sich gelassen hatten. Das Meer da unten mußte die Nordsee sein. Vor der Küste hatte eine Kette von Inseln gelegen, winzig anzusehen von hier oben, die Friesischen Inseln, wenn er sich richtig erinnerte. Auf dem Globus waren sie nicht zu finden.
Jonas saß an dem winzigen Tisch unter dem Fenster der engen Küche. In Flugrichtung gab es nur das Küchenfenster, und er konnte es nicht ausstehen, mit dem Rücken in Fahrtrichtung zu sitzen, weder im Bus noch in der Eisenbahn, und hier schon gar nicht. Nicht, daß ihm schlecht wurde, wenn er rückwärts fuhr – er wollte sehen, was auf ihn zukam.
„Kannst du nicht andersherum fliegen?“ hatte er gefragt.
„Nein, das geht nicht“, hatte Villa geantwortet. „Ich kann dir nicht erklären, warum, aber wenn wir schnell fliegen, dann nur so.“
Also frühstückte Jonas am Küchentisch. Eigentlich war längst Mittagszeit, doch wenn Jonas an Mittagessen dachte, dann an Kartoffelbrei und Schnitzel oder Spaghetti mit Tomatensoße oder Reis mit Paprikafleisch. Stulle und Sirupwasser, so fand er, konnte man unmöglich Mittagessen nennen.
Voraus kam Land in Sicht. England? Was sonst. Aus dieser Höhe war wenig vom Land zu erkennen, gerade daß dort eine Stadt war und da ein Fluß, eine Eisenbahnlinie. Und Berge. Jonas hätte nicht gedacht, daß es in England so viele Berge gab.
„Können wir niedriger gehen?“ fragte er. „Wenn ich eine Weltreise mache, will ich auch was sehen.“
„Dann müssen wir aber langsamer werden“, sagte Villa, „und du wolltest heute noch bis Island. Und zurück. Mir ist es gleich, wohin wir fliegen.“
Bevor Jonas es sich überlegt hatte, war England schon wieder verschwunden. Wasser bis zum Horizont, nichts als Wasser, auf dem nur wenige Pünktchen glitzerten: kleine Schiffe, wahrscheinlich Fischerboote. Die Nordsee war voll mit Schiffen gewesen, Jonas hatte gestaunt, wie dicht die Schiffe hintereinander schwammen. Wie Perlen auf Schnüren. Als zögen sie unsichtbare Straßen entlang. Bestimmt gab es bei so dichtem Schiffsverkehr festgelegte Wasserstraßen. Es gab ja auch Luftstraßen, nur hießen die Korridore.
Sie schienen sich in der Mitte zwischen zwei Luftkorridoren zu halten: Links und rechts blinkten immer wieder Lichtpunkte in der Ferne auf, kamen schnell näher, wurden zu Flugzeugen, die an ihnen vorüberrasten. Oder sie überholten, das aber langsam. Als ob eine Schnecke eine andere überholt, dachte Jonas. Sie flogen tatsächlich so schnell wie die großen Düsenclipper! Auf der Route nach Nordamerika. Herr Neumann hatte es ihnen vorige Woche erklärt: Die kürzeste Verbindung zwischen Europa und Nordamerika führte an Island vorbei. Auf der Landkarte sah es zwar nach einem Umweg aus, nicht aber, wenn man es sich auf dem Globus ansah.
Bald würde auch er nach Amerika fliegen. Rund um die Erde. Jonas, der Weltumsegler. Ein neuer Kolumbus, ein Weltentdecker – nein, auf der Erde gab es heutzutage kein Land mehr zu entdecken –, eher ein zweiter Lindbergh. Charles Lindbergh hatte vor sechzig Jahren als erster den Atlantik überflogen, und er würde der erste sein, der den Atlantik mit einem Haus überfliegt. Und den Stillen Ozean.
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