Der Heiler
linke Schulter. Wieder wirkten die weiche Beleuchtung und die künstlich geschaffene Stimmung im Raum allzu heimelig, und ich begriff jetzt, was mich daran störte. Es war wie eine Traumwelt, wie der Versuch, in die Vergangenheit zurückzukehren.
Ich setzte mich in einen riesigen schwarzen, mit grobem Stoff bezogenen Sessel, der sich im Nu erwärmte, so dass sich mein müder Körper entspannte. Wieder merkte ich, wie erschöpft und hungrig ich war, ohne dass ich Lust hatte, etwas zu essen oder überhaupt stillzusitzen.
»Zum Glück schläft er wieder«, sagte Elina. »Wenn er wach ist, ist er das nicht wirklich. Vorhin redete er so wirr, dass ich Angst bekam.«
»Tut mir leid, dass Ahti krank ist und eure Abreise sich verzögert.«
Elina lachte kurz auf, aber Freude enthielt der kurze Laut nicht. Sie holte Luft, stieà sie sofort wieder aus und fasste sich mit der linken Hand an die Schläfe, so als wäre ihr etwas eingefallen. »Entschuldige, aber ich bin ein wenig müde«, sagte sie, und ergänzte sofort: »von allem.«
»Das macht nichts«, sagte ich. »Es ist ein bloÃer Aufschub. Uns wird bestimmt etwas einfallen.«
Sie sagte nichts, sondern blickte in Richtung Schlafzimmer, und es schien, als horchte sie sehr aufmerksam auf etwas, das meine Ohren nicht wahrnahmen.
»Elina, wir müssen reden«, sagte ich.
Sie wandte sich mir zu, und ihr Blick wurde schärfer und kühler. »Ãber Pasi Tarkiainen?«
Ich nickte. Ãber Pasi Tarkiainen .
»Was hat er damit zu tun?«, fragte sie. »Mit der Suche nach Johanna oder mit irgendetwas anderem? AuÃerdem ist es ewig her, ungefähr fünfzehn Jahre. Was spielt es für eine Rolle?«
»Ich habe eine Theorie, und Tarkiainen hat damit zu tun.«
Sie sah mich immer noch an, strich sich mit einer Hand durchs Haar und zupfte dann am Ãrmel ihres Pullovers, wie um ihn länger zu machen, als er war.
»Johanna und Pasi haben zusammen in Kivinokka gewohnt, stimmtâs?«
Elina nickte, nicht sofort, aber immerhin. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass es bei der Suche nach Johanna hilft, in der Vergangenheit zu wühlen«, sagte sie. »Aber egal. Wie du willst.« Sie seufzte und zog ihre Beine enger an sich.
»Wir lebten damals ein etwas anderes Leben«, sagte sie. »Wir waren junge und naive Studenten und machten Sachen mit, die wir lieber hätten lassen sollen.«
»Zum Beispiel?«
»Pasi Tarkiainens Sachen«, sagte sie, streifte mich mit einem Blick, bemerkte meine Miene und lachte. Dieses Lachen war bedeutend echter als jenes vorhin. »Es ist nicht das, was du anscheinend denkst. Pasi Tarkiainen war damals ziemlich radikal in Umweltfragen, das führte dann zu entsprechenden Aktivitäten.«
»Okay«, sagte ich und merkte, wie ich rot wurde.
»Du bist eifersüchtig«, sagte Elina.
Ich nickte widerwillig, spürte, wie meine Wangen glühten.
»Das war vor langer Zeit. Du hast doch selbst auch eine Vergangenheit.«
»Natürlich«, sagte ich, spürte das Glühen sogar schon im Nacken und wollte diesen Teil des Gesprächs möglichst schnell abhaken. »Was war dann? Wie ging es weiter mit Tarkiainens Aktivitäten?«
»Er war ein radikaler Klimaschützer und hatte Kontakte zu einer Truppe, die systematisch Attentate auf Manager, Politiker und andere verübte, die als Klimavernichter eingestuft worden waren oder die nicht genug gegen die Klimaveränderung taten. Es war das übliche SchwarzweiÃdenken der Jugend: Wenn du nicht für uns bist, dann bist du gegen uns und verdienst, getötet zu werden. Auch Johanna und ich haben so gedacht, zwar nicht offiziell, aber immerhin.«
»Ich wusste nicht, dass ihr so radikal wart«, sagte ich. »Mir ist zwar bekannt, dass Johanna einst eine Aktivistin war, aber ich hatte keine Ahnung, dass sie mit einem Terroristen zusammengelebt hat.«
Elina sah aus, als versuchte sie sich zu erinnern, wie alles wirklich gewesen war. Dabei verschwand die Kühle nach und nach aus ihrem Blick. »Pasi war kein Terrorist. Vielleicht war er leidenschaftlich und sogar zwanghaft, aber nicht böse. Und er hat sicher auch jetzt nichts Böses getan?«
Ich dachte an die getöteten Familien und Tarkiainens erwiesene Anwesenheit an den Tatorten. Doch ich zuckte mit den Schultern und überging die Frage. »Warum fällt es dir so
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