Der Heilige Krieg
weiteres Beispiel für fehlgeleitete Religiosität war der sogenannte Kinderkreuzzug. Tatsächlich war dieser Zug weder päpstlich sanktioniert, noch nahmen daran nur Jugendliche teil, sondern neben Jungen und Mädchen auch alte Menschen, Frauen, Mittellose und Geistliche. Im Jahr 1212 brach die ärmlich anmutende und völlig unorganisierte Schar aus Deutschland und Frankreich in Richtung Heiliges Land auf. Fast ohne Ausrüstung, Proviant und unbewaffnet zogen sie über die Alpen, wollten von Genua per Schiff nach Palästina gelangen. Es war ein hoffnungsloses Unterfangen, das zahlreiche Opfer forderte. Ein Teil starb, viele kehrten in die Hei-mat zurück oder ließen sich in Italien nieder. Einem Chronisten zufolge wurden etliche Jugendliche »von den Bewohnern des Landes als Knechte und Mägde zurückbehalten«. Wie viele letztlich auf den Sklavenmärkten im Mittelmeerraum endeten oder an Hunger und Entkräftung starben, ist ungewiss. Das Gelobte Land erreichte der »Kinderkreuzzug« jedenfalls nie.
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Der Kinderkreuzzug erreichte nie das Heilige Land.
»Das Staunen der Welt« – der Staufer Friedrich II.
In den Konflikt zwischen Kreuzfahrern und Muslimen griff der römisch-deutsche Kaiser Friedrich II. auf ungewöhnliche Weise ein. In seiner süditalienischen Heimat, die durch Heirat Teil des staufischen Imperiums geworden war, hatten lange Zeit die Sarazenen das Geschehen bestimmt. Ihnen gegenüber zeigte der deutsche Monarch, der zugleich die Krone von Sizilien trug, ein gewisses Wohlwollen. Er zog Muslime in der Garnisonsstadt Lucera zusammen, sie wurden seine treuesten Untergebenen. Anlässlich seiner Krönung zum deutschen König 1215 in Aachen hatte Friedrich öffentlich einen Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems gelobt. Aber als die Streitmacht des fünften Kreuzzugs im Jahr 1217 gen Ägypten zog, machte der Staufer nicht mit. Auch die Hilferufe aus dem christlichen Heer, das bei Mansurah im Nildelta in eine militärisch aussichtslose Lage geriet, ließen ihn ungerührt. Als er sich im Jahr 1227 schließlich mit eigenen Truppen auf den Weg nach Palästina machen wollte, zwang ihn eine Epidemie zur Rückkehr. Papst Gregor IX. belegte Friedrich daraufhin mit dem Kirchenbann. Als der Staufer im folgenden Jahr zum zweiten Mal mit seinem Heer ins Heilige Land aufbrach, tat er dies als vom römischen Pontifex Geächteter. Das Kirchenoberhaupt fürchtete einen Machtverlust. Ein Sieg im Heiligen Land hätte die Position des Kaisers gegenüber dem Papst erheblich gestärkt. Auf die papsttreuen Ritter in Palästina konnte der Staufer deshalb nicht zählen. So machte der Monarch aus der Not eine Tugend. Er legte es gar nicht erst darauf an, die Heilige Stadt mit Waffengewalt zu erobern – schon deshalb, weil ihm dazu das militärische Potenzial fehlte. Der Wanderer zwischen den Welten setzte auf Verhandlungen mit den muslimischen Herrschern, gelangte angeblich bei einem Schachspiel zu einem Kompromiss mit dem Sultan von Kairo, al-Kamil. Dieser soll den Staufer während der fünfmonatigen Verhandlungen sogar nach Jerusalem eingeladen haben. Als dort der Muezzin aus Rücksicht auf den Gast auf den morgendlichen Ruf zum Gebet verzichtete – so die Legende –, habe der christliche Kaiser reklamiert, die Nacht in Jerusalem verbracht zu haben, »um dem Gebetsruf der Muslime und ihrem Lob Gottes zu lauschen«.
Das Ergebnis der Gipfeldiplomatie konnte sich sehen lassen. Am 18. Februar 1229 unterzeichneten der Stauferkaiser und der ägyptische Sultan einen Vertrag, der die Städte Jerusalem, Bethlehem und Nazareth sowie die Pilgerstraßen, die dorthin führten, für die nächsten zehn Jahre unter christliche Herrschaft stellte. Der Friede von Jaffa war einmalig im Verhältnis von Orient und Okzident. Nach jahrzehntelanger Feindschaft siegte die Diplomatie. Bis zuletzt hintertrieb Papst Gregor IX. Friedrichs Bemühungen. Es wird sogar von einem Brief aus Rom berichtet, in dem Gregor – wohl wegen des Bannes – den Sultan bittet, dem deutschen König die heiligen Stätten nicht zu überlassen.
Nach dem spektakulären Friedensschluss suchte Friedrich II. die symbolträchtigen Orte persönlich auf und krönte sich am 18. März 1229 in der Grabeskirche selbst zum König von Jerusalem. Auch von den muslimischen Heiligtümern ließ er sich beeindrucken. In seinen Bauwerken hat er die kulturellen Errungenschaften verschiedener Welten vereint. Auch sein Beamtenstaat im Königreich Sizilien orientierte sich an
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