Der Heilige Krieg
Kreuzritterarchitektur.
Für die muslimischen Herrscher stellten diese Bastionen christlicher Macht eine ständige Demütigung und Provokation dar. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff »Dschihad« wieder virulent. Es war der türkische Herrscher von Mossul (heute Irak), Imad ad-Din Zengi, der sich darauf berief und das Pflichtgefühl zur Verteidigung des Glaubens gegen die Kreuzritter wachrüttelte. Mit 30 000 Mann stürmte er im Jahr 1144 gegen die Mauern des christlichen Edessa an. Knapp ein halbes Jahrhundert nach der Eroberung durch Balduin von Boulogne geriet die historisch bedeutungsvolle Stadt wieder in islamische Hand. Es war ein Sieg von eminenter psychologischer Wirkung. Mit Edessa fiel die wichtigste
Hochburg der Christen in Kleinasien. Hier stand eine byzantinische Kathedrale, welche die Hagia Sophia von Konstantinopel an Größe und Glanz noch übertroffen haben soll. Als ginge es um Rache für das Massaker von Jerusalem, wurden tausende Männer, Frauen und Kinder getötet – ein Vorgang, wie ihn der Koran eigentlich verbot und der im Widerspruch zu den Regeln des Dschihad stand. Der Chronist Ibn al-Qalanisi schreibt über die Erstürmung Edessas: »Die Truppen plünderten, metzelten, nahmen gefangen, vergewaltigten und raubten. Ihre Hände füllten sich mit solchen Mengen von Geld, Möbeln, Tieren, anderer Beute und Gefangenen, daß sie frohen Herzens waren und voller Jubel.« Offenbar war Zengi jedoch daran gelegen, noch Schlimmeres zu verhindern: Er »gab den Befehl, das Töten und Plündern einzustellen und das Zerstörte wiederaufzubauen … die Einwohner beruhigte er, indem er ihnen eine gute Behandlung und Gerechtigkeit versprach«.
Bild 57
Ein Pergament aus dem 15. Jahrhundert zeigt Abt Bernhard von Clairvaux in der Gegenwart von König Ludwig VII. beim Aufruf zum zweiten Kreuzzug 1146.
Die Antwort auf die Einnahme Edessas ließ nicht lange auf sich warten. Als die Nachricht Westeuropa erreichte, rief Papst Eugen III. 1145 zum zweiten Kreuzzug auf in der Annahme, auch dieser werde zum Erfolg führen. Eine neue Generation von Rittern sollte den Spuren ihrer Väter folgen. Diesmal stellte sich sogar einer der mächtigsten Männer Europas an die Spitze, König Ludwig VII. von Frankreich, tiefgläubig, doch militärisch kaum erfahren. Mit rund 30 000 Bewaffneten im Gefolge machte er sich auf den Weg. Doch im Hochland Anatoliens holte der Winter die Kreuzfahrer ein. Die Seldschuken nutzten für ihren Angriff einen Hinterhalt – Mann gegen Mann, Schwert gegen Schwert, berichtet ein Chronist, sei das christliche Heer zugrunde gegangen. An diesem Tag, so heißt es, hätten die Franken ihren glorreichen Ruf verloren. Nur ein Teil der Streitmacht gelangte noch bis nach Damaskus, die Stadt war jedoch zu gut befestigt, der französische König scheiterte. Auch einem weiteren Monarchen wurde die Teilnahme am zweiten Kreuzzug zum Verhängnis: dem deutschen König Konrad III. Dem Abt von Cluny, Bernhard von Clairvaux, dem einflussreichsten Geistlichen seiner Zeit, war es 1146 in einer Weihnachtspredigt im Dom zu Speyer gelungen, den Staufer Konrad für die bewaffnete Wallfahrt zur Befreiung Edessas zu gewinnen. Doch auch Konrads Teilnahme konnte den Widerstand der Muslime nicht brechen. Beide Monarchen verließen erfolglos das Heilige Land. So wuchs in der muslimischen Welt die Gewissheit, dass die »Franken« keineswegs unbezwingbar waren. Nun waren sie es, die sich in ihrem Glauben bestärkt sahen – in der Überzeugung, dass Allah auf ihrer Seite stand.
Die Ritterorden
Die Vorstellung, dass auch Christen in einen berechtigten Verteidigungskrieg ziehen dürfen, prägte das Bild vom christlichen Krieger, dem Ritter. Der einst sehr raue gegenseitige Umgang sollte einer feineren Kultur weichen, die geprägt war von Zucht, Treue, Milde, Glaube und Dienstbereitschaft. Die Ritterweihe erfolgte im Rahmen einer rituellen Feier. Der Auserwählte sollte sein Schwert nicht gebrauchen, um »ungerecht zu verwunden, sondern stets nur zur Verteidigung des Rechtmäßigen und Gerechten« – so das Idealbild, das durch Exzesse wie in Jerusalem immer wieder getrübt wurde. Die klarste Verkörperung der Kreuzzugsidee waren die Ritterorden, die im Laufe des 12. Jahrhunderts gegründet wurden und dem Ethos ihres Standes besonders verpflichtet waren: die Johanniter (mit dem weißen Kreuz), die Templer (mit dem roten Kreuz) und der Deutsche Orden (mit dem schwarzen Kreuz). Ihre Angehörigen legten ein Gelübde ab zu
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