Der Heilige Krieg
Ereignisse sollten das Verhältnis der Religionen auf lange Sicht beeinflussen: »Die Kreuzzüge auf europäischer Seite und der Dschihad auf islamischer Seite haben den Orient-Okzident-Beziehungen eine historische, bis in unsere Zeit andauernde Belastung aufgebürdet«, so Tibi, »jene hasserfüllten kriegerischen Begegnungen überwiegen im kollektiven Gedächtnis leider noch heute die positiven historischen Momente der wechselseitigen Faszination.« Doch immerhin gab es neben dem Gegeneinander auch ein Miteinander, selbst in der Zeit der Kreuzzüge. Wie davor und danach schlossen Christen Bündnisse mit Muslimen und umgekehrt, selbst gegen eigene Glaubensbrüder. Während der Herrschaft der Christen im Heiligen Land fand ein reger wirtschaftlicher und kultureller Austausch statt. Das Abendland profitierte nicht nur vom kulturellen Vorsprung der Byzantiner, sondern auch vom Fortschritt in der islamischen Welt. Feinere Sitten, mehr Wissen, mehr Bildung – literarisch, architektonisch,
wissenschaftlich und technisch – gelangten über das Heilige Land, Spanien und Italien während des gesamten Mittelalters nach Zentraleuropa. Das über den Orient vermittelte klassische griechische Erbe bereitete den Boden für die spätere Renaissance.
Doch wurde der Islam von den meisten abendländischen Gelehrten weiterhin abgelehnt und als Religion angefeindet. Auch die kollektive Erinnerung der Muslime an die Kreuzzüge wurde im Lauf der Jahrhundert immer wieder neu belebt, vor allem im imperialen Zeitalter: während der kolonialen Eroberungen der Europäer. Positive Erfahrungen und Momente der Begegnung wurden dabei überlagert. Die neuzeitliche Expansion der europäischen Großmächte galt als Fortsetzung des Geschehens fast tausend Jahre zuvor. Und auch im 20. Jahrhundert wurden Konflikte mit dem Westen immer wieder mit der Erfahrung der Kreuzfahrerzeit in Verbindung gebracht. Der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser, der nicht in religiösen Dimensionen, sondern in den Kategorien eines panarabischen Nationalismus dachte, stilisierte sich in den eigenen Reihen zu einem »neuen Saladin«, nicht ohne Erfolg. Als 1956 französische und britische Streitkräfte in alter Kolonialmanier – und dazu noch im Bündnis mit Israel – die Kontrolle über den Sueskanal zurückerobern wollten, feindete sie Nasser als die »neuen Kreuzritter« an.
»In der Tradition von Dschihad und Kreuzzug sowie gegenseitiger Befruchtung sind Europa und der Islam gleichermaßen alte Feinde und alte Freunde.«
Bassam Tibi, Politikwissenschaftler
Der islamische Fundamentalismus der Gegenwart zieht eine direkte Linie von den Kreuzzügen über die Zeit des Kolonialismus bis hin zu den Golfkriegen. »Dies ist keine Schlacht zwischen Irak und Amerika, sondern zwischen dem Islam und den Kreuzrittern«, behauptete ein radikaler Islamistenführer in Jordanien 1991. Wo immer diese Denktradition wieder aktualisiert und ins Feld geführt wird, kommt meist auch der radikalisierte Dschihad-Gedanke ins Spiel: »Alle satanischen Mächte und Lebensformen zu vernichten«, auch das sei Grund, »den Dschihad zu erklären«, schreibt Sayyid Qutb (1906 – 1966), der Theoriker der ägyptischen
Muslimbruderschaft, in seinem einflussreichen Werk Meilensteine . Hier findet sich eine Interpretation des Dschihad, die willkürlich und skrupellos ist und das Abschlachten von missliebigen Glaubensbrüdern ebenso rechtfertigt wie das von Ungläubigen. Aus seinem Denken schöpfen auch die Terrorkrieger des 21. Jahrhunderts. Al-Qaida nennt sich offiziell »Welt-Islam-Front für den Dschihad gegen Juden und Kreuzzügler«. Im Dezember 2004 verübten Islamisten vor dem US-Konsulat in Dschidda/ Saudi-Arabien einen Bombenanschlag – sie nannten dies einen »Angriff auf eine der Burgen der Kreuzzügler auf der Arabischen Halbinsel«.
Nur selten gibt der Westen wirklich Anlass, ihm zu unterstellen, er habe sich noch nicht von der unheilvollen Tradition gelöst. »Kreuzzug« wider den Terrorismus«? Mit solchen Formulierungen im Kampf gegen den Terror hat George W. Bush eher unbedacht selbst moderate Muslime aufgeschreckt und auch in den christlichen Kirchen des Westens für mancherlei empörte Reaktion gesorgt. Sein Vorgänger Bill Clinton konstatierte im November 2001 an der Georgetown-Universität: »Ich kann Ihnen versichern, dass die Geschichten von den Kreuzzügen noch heute im Nahen Osten erzählt werden und wir immer noch dafür bezahlen.«
So prägt die historische
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