Der heilige Schein
meine Ausladung durch das Institut für Lehrerfortbildung in Mülheim an der Ruhr. Von da an wurde ich mit Vortragsanfragen aus diesem Milieu geradezu überschüttet. Es gibt kaum eine Gruppierung aus dem Spektrum des konservativen Katholizismus, bei der ich in diesen Jahren nicht gesprochen hätte. Freilich waren die Themen sehr begrenzt, und es musste immer möglichst populär, leicht verständlich und »mit Biss« zugehen, sprich polemisch gegen eine Modernisierung der Religion. Die zumeist recht einfachen Gläubigen, die zu den Vorträgen kamen, waren leicht zu beeinflussen, so dass ich meine ablehnende Haltung gegenüber einer aufgeschlossenen Theologie und Kirchenpolitik nun so weitergab, dass auch bei meinen Zuhörern Aggressionen ausgelöst oder die vorhandenen noch verstärkt wurden.
Ein gutes Beispiel dafür scheint mir eine etwa sechzigjährige Frau in Würzburg zu sein, die im Anschluss an meinen Vortrag über das Verhältnis der deutschen Kirche zum Papst mit sehr lauter Stimme sagte: »Wenn das alles so schlimm ist, wie Sie sagen - und es ist noch viel schlimmer - dann ist es Zeit, dass wir uns von den Modernisten trennen: Lassen Sie uns endlich ein Schisma, eine Kirchenspaltung machen!«
Obwohl mich solche Reaktionen in gewisser Weise befriedigten, empfand ich die aufgeheizte und sektiererische Atmosphäre bei meinen Vorträgen oft auch als belastend, und sehr bald verspürte ich das Bedürfnis, punktuell immer wieder aus dieser Welt auszubrechen.
Typisch ist vielleicht folgendes Ereignis, das sich in ähnlicher Form des Öfteren wiederholte. Im Frühsommer 2001 hatte ich, wie bereits erwähnt, nachmittags auf der Tagung der Vereinigung »Pro Missa Tridentina « einen Vortrag gehalten. Der Vorstand des Vereins, die Ehrengäste und ich waren in einem noblen Hotel in Münster untergebracht und saßen abends noch zusammen. Es wurde stundenlang über die problematische Lage der Kirche geredet und immer wieder hervorgehoben, wie wunderbar es bei den Traditionalisten zugehe, dass es dort noch kinderreiche Familien gebe, von »Emanzen« und »Homos« werde man hier nicht belästigt ... Ab einem gewissen Zeitpunkt hielt ich es in der stickigen Atmosphäre dort nicht mehr aus, das Bedürfnis nach einem Ausgleich wurde übermächtig. Ich nahm das stattliche Honorar, das ich für meinen Vortrag erhalten hatte, und telefonierte ein paar schwule Freunde zusammen, die bis auf einen Priesteramtskandidaten keinerlei Verbindung zur katholischen Kirche hatten. Wir trafen uns in einer Diskothek, wo wir die ganze Nacht ziemlich ausgelassen feierten.
Die katholischen Kreise, in denen ich verkehrte, verstanden es damals, meine Trotzreaktion immer weiter zu verstärken* Ich weiß nicht, wie oft ich beim Zusammentreffen mit konservativen Katholiken, besonders Akademikern, zu hören bekam: »Sie müssten doch längst einen Lehrstuhl haben. Den verweigert man Ihnen nur, weil Sie treu katholisch sind.« Gelegentlich ergänzt um den Hinweis: »Wären Sie ein durchgedrehter Progressist, hätten Sie schon längst Karriere gemacht!«
Das war natürlich Unsinn, denn zu dem Zeitpunkt war ich noch sehr jung und noch nicht einmal habilitiert. Im Nachhinein ist mir klar geworden, dass man bemüht war, mir das Gefühl zu geben, ich sei als Konservativer ein Opfer von Diskriminierung. Diese Methode der Viktimisierung spielt bei Fundamentalisten aller Couleur eine wichtige Rolle und wird auch bei katholischen Fundamentalisten mehr oder weniger bewusst eingesetzt. Und das nicht erst seit einigen Jahren: Bereits seit der Aufklärung nutzt der päpstlich verordnete kämpferische Antimodernismus die vermeintliche Opferrolle der katholischen Kirche als rhetorisches Mittel zur Polarisierung. Auch die gegenwärtigen antimodernen Katholiken nehmen die Opferrolle extensiv für sich in Anspruch, wodurch einerseits der Zusammenhalt innerhalb dieser Gruppierungen gefördert wird, andererseits aber auch das Aggressionspotential gegenüber Andersdenkenden deutlich steigt.
Ebenso beliebt wie unpassend ist in diesem Zusammenhang der Vergleich mit den Juden im Dritten Reich: So wie diese damals verfolgt worden seien, so mache man das nun mit den Katholiken in Europa. Selbst der prominente, sonst eher überlegt handelnde Jesuitenpater Eberhard von Gemmingen, der viele Jahre Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan war, schreckte jüngst vor einem derartigen Vergleich nicht zurück. Im Hinblick auf die Kritik an der katholischen Kirche
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