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Der heilige Schein

Der heilige Schein

Titel: Der heilige Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Berger
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dort begegnete, sagte: »Ach, Sie meinen den katholischen Mädchenknast.«
    Auch eine Wagenburgmentalität, also die bewusste Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft, fiel mir im Schönenberger Internat auf: Dass die Mädchen keine Hosen, sondern knöchellange Röcke tragen müssen, versteht sich für die Verantwortlichen von selbst. »Hosen sind doch nichts für Frauen«, erklärte die Ehrwürdige Mutter Rektorin auf meine Frage, während sie mir ein Gläschen ihres Himbeerlikörs kredenzte.
    Ähnlich verfuhr man damals mit dem männlichen Nachwuchs, bei dem Turnschuhe als US-amerikanische Unart galten. Auch dass es an diesen Schulen keinen Sexualkundeunterricht gibt, ist Teil des schulischen Beitrags zur Errichtung einer Parallelgesellschaft. Dass dahinter jedenfalls bei manchen Verantwortlichen eine Moralvorstellung steht, die Sexualität per se mit Sünde gleichsetzt, wurde mir klar, als mir vor einigen Jahren eine ältere Ärztin, die dem kämpferischen Maria- Goretti -Verein nahesteht, erklärte: »Reden über die Sexualität gehört in den Beichtstuhl, nicht in den Schulunterricht!« Und: »Sexualkunde ist eine Form des sexuellen Missbrauchs.«
    Fernsehen, Mobiltelefone, Rock- und Popmusik sind ebenfalls absolute Tabus. Dies gilt sowohl für die Schulen als auch für die zahlreichen, von traditionalistischen Gruppen organisierten Jugendfreizeiten.
    Bei Nichteinhaltung der Reglements zur Abschottung »von der Welt« drohen den Schülerinnen und Schülern teils harte Strafen: Schläge, Essensentzug oder Stehen während des Frühstücks. Im Jahr 2006 ging die Saarbrücker Schule der Piusbruderschaft durch die Medien, als bekannt wurde, dass dort Schüler von Lehrern und Schulleitung körperlich gezüchtigt worden waren. Dennoch wurden noch im Jahr 2007 allein die deutschen Schulen der Piusbruderschaft vom Staat mit 1,2 Millionen Euro aus Steuergeldern bezuschusst. In Frankreich steht derzeit eine vom »Institut du Bon Pasteur« - das aus der Piusbruderschaft hervorgegangen ist und sich päpstlicher Anerkennung erfreut - geleitete Schule kurz vor der Zwangsschließung durch den Staat. Journalisten des Senders France 2 hatten dort mit versteckter Kamera Schüler und Lehrkräfte gefilmt, die sich offen rechtsradikal, antisemitisch und rassistisch äußerten. Kontrollen, die das zuständige Ministerium daraufhin durchführte, ergaben, dass dieses Gedankengut auf den höchst mangelhaften, demagogischen Geschichtsunterricht an der Schule zurückzuführen sei.
    Die Jugenderziehung der »Servi Jesu et Mariae« und der ihnen nahestehenden Katholischen Pfadfinderschaft Europas hat, obgleich die überwiegende Mehrheit der deutschen Bischöfe und selbst sehr konservative Universitätsprofessoren der Theologie ihr ablehnend gegenüberstehen, einen prominenten Befürworter. Zu der Zeit, als ich bei der SJM tätig war, lobte der damalige Kardinal Joseph Ratzinger die KPE ausdrücklich: »Die Jugendarbeit in der KPE ist im Ganzen durchaus positiv einzuschätzen und gibt vielen jungen Menschen eine solide Grundlage für ihren Weg im Leben.« [14] Und als die SJM ihr umstrittenes Internat auf Schloss Assen eröffnete, vermerkte Ratzinger in einem Brief vom 28. Februar 2003 beschwichtigend, »dass diese Ordensgemeinschaft ganz auf dem Boden der Lehre und Praxis der katholischen Kirche steht und diese auch in ihrem Internat und in der geplanten Schule weitergeben will, wie es jede katholische Schule tun soll.« [15]

Trotzreaktion und Opferrolle
    Ich sah die geschilderten Missstände mit den Jahren immer deutlicher, doch besonders anfangs wehrte ich mich noch gegen die unbequemen Erkenntnisse und wischte meine Bedenken beiseite. Besonders leicht fiel mir das immer dann, wenn ich meinen Blick zurück auf die Kulissen lenkte, die für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Der Weihrauch vernebelte gewissermaßen meinen Blick. Es waren eben sehr erhebende Momente, wenn sämtliche Internatsschüler abends in der Kapelle kniend das »Salve Regina« sangen oder wenn die Schönenberger Mädchen in ihren blauen Schuluniformen und mit ihren langen blonden Zöpfen durch die Aufführung vielstimmiger Motetten ein feierliches Hochamt in lateinischer Sprache begleiteten. Im Nachhinein tröstet es mich etwas, dass auch höhere Prälaten der Amtskirche, die sich wiederholt im Mädchengymnasium aufhielten, dem Charme dieser Kulissen erlagen.
    Ein weiterer Grund für mein Schweigen und fortgesetztes Wirken in dem beschriebenen System soll hier nicht

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