Der heilige Schein
schwieriger. Dass irgendwann die Stunde der Reue und der Erkenntnis kommen musste, wenn mein gesamtes kirchenpolitisches Handeln noch etwas mit dem Geist des Christentums zu tun haben sollte, schob ich lange Zeit beiseite.
Eingebunden in die Netze extremistischer Katholiken
Auch wenn es manchmal so scheinen mag: Die katholische Kirche besteht nicht nur aus Papst, Bischöfen und Priestern. Unter den Laien haben sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts, natürlich in enger Zusammenarbeit mit den Klerikern, eigene Strukturen herausgebildet, deren Einfluss in der öffentlichen Wahrnehmung meist unter schätzt wird. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang nur das 1928 gegründete Opus Dei, die in den letzten fünfzig Jahren einflussreichste Laienorganisation innerhalb der katholischen Kirche, die diesen Status nach wie vor innehat.
Dabei bildet das Opus Dei nur die Speerspitze einer seit zwei Jahrzehnten vorangetriebenen neokonservativen Rückorientierung der katholischen Kirche. Mit auf diesem Feld arbeiten eine Fülle weiterer, meist sehr straff strukturierter Laienorganisationen: Die »Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum« (TFP) wurde bereits erwähnt, daneben gibt es aber noch viele sehr konservative katholische Studentenverbindungen, päpstliche Ritterorden, politisch tätige Organisationen usw. Obwohl unter den Laien in der katholischen Kirche grundsätzlich von einer Gleichberechtigung der Geschlechter die Rede ist, bleibt die volle Mitgliedschaft in diesen einflussreichen Institutionen, in denen es vor allem auch um die Bildung von Seilschaften geht, zumeist Männern vorbehalten. Nicht nur die inhaltlichen Positionen, die diese Gruppen vertreten, sind konservativ, oft hält man auch mit großem Aufwand an traditionellen gesellschaftlichen Konventionen und Veranstaltungen fest. Die in Deutschland bekannteste dieser Veranstaltungen dürfte die jährlich stattfindende Wallfahrt des »Katholischen Männervereins Tuntenhausen « sein, der vom rechten Flügel der CSU dominiert wird.
Eine ähnliche, wenn auch weniger bekannte Institution ist der »Herrenabend«. Ursprünglich aus dem Bereich der Studentenverbindungen und des Militärs stammend, hat sich diese Institution seit den 50er Jahren in konservativen Kreisen fest etabliert. Ein zahlungskräftiger Gastgeber lädt einflussreiche Persönlichkeiten des konservativ-katholischen Milieus ein, die sich hinter verschlossenen Türen über neueste Entwicklungen im »Milieu« austauschen, gemeinsame Aktionen planen und deren Finanzierung sicherstellen.
Im Frühjahr 1998 erhielt ich erstmals eine Einladung zu einem solchen Herrenabend. Der Brief kam von einem mir bis dahin unbekannten Düsseldorfer Geschäftsmann. Er habe, schrieb er mir, einen meiner Aufsätze gelesen und würde mich gerne kennenlernen, wozu sich ein Herrenabend im Juni anböte: »Sie werden auf einen illustren Kreis konservativer Katholiken treffen, der sich in unregelmäßigen Abständen in wechselnder Zusammensetzung in unserem Hause trifft.« Meine Neugierde war geweckt, und ich sagte zu.
Ein Netzwerk gegen die »Judaisierung« der Welt
Schon bei der Einfahrt in die Tiefgarage des postmodernen Bürokomplexes in einem Vorort von Düsseldorf war mir klar, dass sich hier nicht irgendwelche konservativen Katholiken trafen. In der Garage stiegen ältere Herren in feinen Anzügen aus Luxuslimousinen. Mit meinem alten Fiat-Uno und dem Anzug von H&M kam ich mir unter all den Männern, die meine Großväter hätten sein können, etwas deplatziert vor. Zugleich aber war ich stolz, trotz meines jugendlichen Alters und weithin noch fehlender Reputation zu diesem offensichtlich exklusiven Kreis Zugang zu erhalten.
Stargast des Abends, der zugleich den einleitenden Vortrag hielt, war der österreichische Publizist und Privatgelehrte Erik Maria Ritter von Kuehnelt-Leddhin . Er hatte durch seine Lehrtätigkeit an den bekanntesten katholischen Universitäten der USA viele Jahrzehnte lang einen richtungweisenden Einfluss auf den dortigen konservativen Katholizismus ausgeübt. Eigentlich sollte der mit dem kurz zuvor verstorbenen Schriftsteller Ernst Jünger befreundete Ritter zum Thema »Was Europa für die Welt bedeutet« sprechen, er gab aber ein Potpourri seiner wichtigsten Theorien zum Besten. Mit einem silberknaufigen Gehstock bewaffnet, in den der Habsburger Doppeladler eingraviert war, erklärte er, die Demokratie sei schon in der Antike erbärmlich gescheitert. Seit sie im Zuge der
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