Der heilige Schein
unterschlagen werden. Es hängt eng mit dem Lagerdenken zusammen, das die gesamte katholische Kirche und Theologie seit mehr als hundert Jahren prägt: auf der einen Seite das Spektrum der konservativen bis fundamentalistischen Kirchenmänner, auf der anderen das der modernen bis progressistischen Theologen. Beide stehen sich, besonders in Deutschland, in einem erbitterten, häufig mit verbaler Aggression ausgetragenen Konflikt gegenüber, der für die entscheidenden Weichenstellungen sowohl in der Kirchenpolitik als auch in der Wissenschaft verantwortlich ist.
Meine ersten Publikationen waren mit Vertretern einer offenen, modernen Theologie hart ins Gericht gegangen. Im Grunde genommen sagte ich nur das, was ich schon in meiner Doktorarbeit herausgearbeitet hatte, doch nun formulierte ich es zugespitzt und in einem teilweise polemischen Ton, der einem jungen Theologen in einer hierarchisch strukturierten Wissenschaft nicht gut ansteht. So kritisierte ich Rahners Gnadenlehre als Einfallstor für eine Banalisierung des katholischen Glaubens durch dessen Modernisierung. Damit war ich eindeutig in die Schublade der konservativen bis fundamentalistischen Theologie geraten.
Der Erste, der warnend seine Stimme erhob, war mein Doktorvater. Ich solle zukünftig nicht mehr solch kritische Arbeiten publizieren und auf keinen Fall den Lehrauftrag in der von Bischof Krenn geleiteten Diözese St. Pölten annehmen. Dadurch würde ich nicht nur ihn gegenüber seinen Kollegen in Erklärungsnot bringen, sondern auch mir jede Chance auf eine Habilitation oder den Ruf auf einen Lehrstuhl in Deutschland nehmen.
Weitaus heftiger als diese »brüderliche Zurechtweisung« fielen andere Reaktionen aus. Eine Einladung des katholischen Instituts für Lehrerfortbildung in Mülheim an der Ruhr zu einem Vortrag im Juni 2000 wurde kurzfristig zurückgezogen. Der Verantwortliche schrieb mir, ihm seien neuere Publikationen von mir in die Hände gekommen, die »ob ihrer unseriösen Schwarz-weiß-Malerei und ideologischen Besserwisserei« bei ihm »blankes Entsetzen« hervorgerufen hätten.
Ein umfangreicher, sehr sachlicher Artikel, den ich für einen Sammelband über die Geschichte der Fundamentaltheologie verfasst hatte, provozierte den Protest anderer Beitragender, die ihren Namen nicht neben meinem gedruckt sehen wollten, und konnte nur durch das energische Plädoyer des Herausgebers, des Leibniz-Preisträgers und Kirchenhistorikers Professor Hubert Wolf aus Münster, erscheinen.
Auch meine Anfrage bei dem Priester und Dogmatikprofessor Anton Ziegenaus bezüglich einer Habilitation an der Universität Augsburg, zu der mich mein Doktorvater energisch ermutigt hatte, wurde negativ beschieden: So etwas sei - bei meinem konservativen Ruf - nicht einmal dort durchzusetzen. Hinzu kam, dass ich nicht Priester, sondern Laie war und dadurch bei den Konservativen nicht den Stallgeruch besaß, den man sich für einen Dogmatikprofessor wünschte. Immer wieder kam, besonders von wohlmeinenden Geistlichen, der Satz: »Lassen Sie sich doch zum Priester weihen, dann wird das alles viel einfacher. Sie sind doch nicht verheiratet, da dürfte das doch kein Problem sein!« Begleitet war dieser Hinweis auf meinen Familienstand meist von einem süffisanten Lächeln. Bei Besuchen in der Kölner Diözesanbibliothek sprach mich ein höherer Geistlicher, der noch bei Professor Ratzinger in Bonn studiert hatte, immer wieder auf die Sache an und zwickte mir dabei jedes Mal sanft in den Oberarm.
Dass es im katholischen Klerus so überdurchschnittlich viele homosexuelle Priester gibt, hängt mit dieser traditionell katholischen Umgangsweise mit Homosexualität zusammen: Wer so veranlagt ist, darf seine Sexualität, die ja völlig zweckfrei und daher sündhaft wäre, ohnehin nicht ausleben. Was liegt also näher, als mit dem Zölibat diesen Verzicht zu erklären? Und dann alle Privilegien zu genießen, die die katholische Kirche und teilweise auch der Staat Klerikern einräumt.
Die beschriebenen Reaktionen auf meine Publikationen bewirkten genau das Gegenteil von dem, was meine Kritiker eigentlich erreichen wollten. Ich fühlte mich ungerecht behandelt und dachte, jetzt erst recht. Verstärkt wurde diese Trotzhaltung von den konservativen Kräften, die mich immer mehr auf ihre Seite zogen. So berichteten die mit Unterstützung der Piusbruderschaft herausgegebene Kirchliche Umschau und viele andere konservativ-katholische Zeitschriften ausgiebig und polemisch über
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