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Der heilige Schein

Der heilige Schein

Titel: Der heilige Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Berger
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angesichts der Missbrauchsfälle sagte er: »Ich muss einen Vergleich ziehen: Mit den Juden ist es so losgegangen, dass vielleicht der ein oder andere Jude Unrecht getan hat. Dann aber hat man schlimmerweise alle angeklagt und ausrotten wollen. Man darf nicht von einzelnen Missetaten ausgehen und eine ganze Gruppe verurteilen.« [16]
    Auch Papst Benedikt XVI. nimmt gelegentlich die Opferrolle für sich in Anspruch. Angesichts der stets um Sachlichkeit und Respekt vor dem Papstamt bemühten Kritik deutscher Professoren und Bischöfe an der Rehabilitierung des Holocaustleugners Williamson schrieb er: »Betrübt hat mich, dass auch Katholiken, die es eigentlich besser wissen konnten, mit sprungbereiter Feindseligkeit auf mich einschlagen zu müssen glaubten.« [17] Mit wenigen Worten entwirft Benedikt XVI. hier ein höchst anschauliches Bild von sich als gebrechliches, unschuldiges Lamm, das auf den Pfaden dieser Welt wandert, die Augen allein zum Ewigen gerichtet, während progressistische Katholiken ihm voller Feindseligkeit auflauern, bereit zum Sprung, wenn er schutzlos erscheint, um dann brutal auf ihn einzuschlagen.
    Bestärkt wird der Papst in dieser Opferrolle offensichtlich von seinem engsten Umfeld. Beispielhaft hierfür ist die außerplanmäßige Ansprache des ehemaligen Kardinalstaatssekretärs Kardinal Sodano beim Ostersegen »Urbi et Orbi« 2010. Während alle Welt auf ein Wort des Papstes oder seiner Kurie zu den Missbrauchsfällen wartete, vielleicht gar auf eine stellvertretende Entschuldigung, ließ der Kardinal verlauten, man leide mit dem Papst mit, lasse sich aber nicht »von dem unbedeutenden Geschwätz dieser Tage beeinflussen«. [18] Auf eine Weise, die die Missbrauchsopfer als Verhöhnung auffassen mussten, wurden hier die Täter zu leidenden Opfern stilisiert, und die Opfer zu Tätern, die mit ihrem »unbedeutenden Geschwätz« dem Heiligen Vater das Leben schwermachten.
    Ende August 2010 erschien in Italien ein Buch mit dem Titel Attacco a Ratzinger. Darin versuchen die Autoren Andrea Tornielli und Paolo Rodari, zwei dem neokonservativ-katholischen Spektrum zuzuordnende Journalisten, nachzuweisen, dass die internationalen Medien einen Kampf gegen den gegenwärtigen Papst führen, und schrecken dabei auch vor abstrusen Verschwörungstheorien nicht zurück. So schreiben sie zum Beispiel, der Pädophilieskandal sei nach der Zuerkennung des heroischen Tugendgrades für Papst Pius XII. - der Vorstufe zu dessen Seligsprechung - losgetreten worden. Die Hauptgegner der Seligsprechung dieses Papstes finden sich freilich in jüdischen Kreisen sowie unter denen, die eine Öffnung der Kirche hin zur Moderne favorisieren. Das unterstellt, wie ich es verstehe, die geplante Seligsprechung habe besagte Kreise so sehr provoziert, dass man die Pädophilieskandale daraufhin künstlich hochgekocht habe. Der Autor Tornielli ist nicht irgendwer! Er ist vor allem durch seine traditionalistischen Beiträge in der konservativen Zeitschrift 30 Giorni bekannt geworden, und er dürfte derjenige Journalist sein, der weltweit die besten Verbindungen in den Vatikan hat.
    Doch zurück zu mir. Während manche mich in die Opferrolle zu drängen suchten, wurde mir von anderen gleichzeitig tröstend versichert, dass ich durch das Ertragen dieser Zurücksetzungen einen höheren, heiligen Plan erfülle.
    Folgendes schrieb mir ein in Rom wirkender Kardinal: »Die Dummheit rast durch die Kirche. Wir sind heute so weit, dass man nur das für wahr und gültig hält, was man glauben will. Deswegen ist jede gültige Aufklärung über die katholische Wahrheit ein hl. Kreuzzug für die Wahrheit, für den niemand später um Verzeihung bitten muss.« Dass der Kardinal in seinem Schreiben an mich das kriegerische Wort »Kreuzzug« gebrauchte, bestätigt wiederum den Zusammenhang zwischen Viktimisierung und Aggression.
    Zudem wird hier noch ein weiterer Aspekt deutlich: Der Viktimisierung folgt die Heiligsprechung. Die Überhöhung der Opferrolle zu einem gottgefälligen Heldentum gilt im Übrigen nicht nur für von außen auferlegte Schmerzen, sondern auch für den autoaggressiven Kampf gegen die eigene Natur im Zusammenhang mit der Sexualität. Dadurch wird, so Wunibald Müller, der »Raubbau an sich selbst« [19] , der zu schweren psychischen Erkrankungen führen kann, heiliggesprochen.
    Nach und nach war auch ich immer mehr zu einem »Ritter« in diesem Kreuzzug geworden. Mit jedem Tag, den ich daran teilnahm, wurde eine Rückkehr

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