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Der heilige Schein

Der heilige Schein

Titel: Der heilige Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Berger
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diesem Zusammenhang bei einem Abendessen in Lublin die Anekdote, Ratzinger habe sich im Zug von Rom nach Assisi demonstrativ mit dem Rücken zur Fahrtrichtung gesetzt, um sein Missfallen zum Ausdruck zu bringen.
    Im Hinblick auf den Islam war man sich bei den Herrenabenden einig, dass er neben dem Katholizismus als die zweite religiöse Macht in Europa zu gelten habe. Die weiteren Einschätzungen schwankten dann jedoch zwischen unbedingtem Kampfeswillen gegen den Islam auf der einen und Faszination für den kämpferischen Islam auf der anderen Seite. Beide Positionen, so gegensätzlich sie sonst sind, verbindet eine ausgeprägte Aversion gegen den Liberalismus und die Öffnung der Kirche zur modernen Gesellschaft.
    Einer der Besucher der Herrenabende, der heutige Pro-NRW-Politiker Dr. Christoph Heger, schrieb mich kurz nach unseren ersten Düsseldorfer Begegnungen an. In Deutschland werde die islamische Apologetik immer lauter und damit auch die Kritik am Christentum, besonders werde diesem durch islamische Polemiken der Monotheismus streitig gemacht. Er plane nun eine große Gegenoffensive, die dem Islam beweisen solle, dass er keineswegs ein Monotheismus sei, sondern ein verkappter Viel-Gott-Glaube. Wer den Islam ein wenig kennt, weiß, dass es keine größere antimuslimische Provokation gibt, als ihm Polytheismus vorzuwerfen. Aus dem gemeinsamen Projekt mit mir wurde nichts. Heute führt Heger einen politischen, extrem rechten Kampf gegen die »muslimische Unterwanderung« der deutschen Gesellschaft.
    Einer ebenfalls auf einem ultrakonservativen Katholizismus und Antiliberalismus beruhenden islamkritischen Position begegnete ich später in den Büchern und einem Artikel des Publizisten Hans-Peter Raddatz, den er für die von mir zu der Zeit herausgegebene Zeitschrift Theologisches verfasst hatte. Dort ging er streng mit dem von liberalen katholischen Kreisen angestrebten Dialog mit dem Islam ins Gericht. Der Islamwissenschaftler Martin Riexinger bemerkte in seinem Aufsatz »Hans-Peter Raddatz: Islamkritiker und Geistesverwandter des Islamismus« dazu: »Die Angriffe von Raddatz auf den Islam sind Teil eines Antiliberalismus, der jenem der Islamisten durchaus ähnelt.«
    Als ich im Jahr 2005 ein islamfreundliches Buch in derselben Zeitschrift weithin zustimmend besprechen ließ, kündigte mir die Gattin von Herrn Raddatz in dessen Namen die Zusammenarbeit mit der von mir edierten Monatsschrift auf und schrieb erboste Briefe an alle möglichen Mitstreiter aus dem konservativen Lager über mich und meine Unfähigkeit als Herausgeber. Spätestens zu dem Zeitpunkt wurde mir eindringlich bewusst, dass es neben den Marienerscheinungen ein weiteres Thema gab, das das konservativ-katholische Lager in zwei Fronten teilte: die Haltung zum Islam.
    Das positiv besprochene Buch stammte von dem Augsburger Publizisten Michael Widmann und richtete sich gegen ein Kopftuchverbot für islamische Mädchen und Lehrerinnen an staatlichen Schulen. Ich hatte Widmann bereits einige Jahre zuvor im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Lektor für den Sankt Ulrich Verlag in Augsburg persönlich kennengelernt.
    Bei unserem Gespräch im Oktober 2001 in Augsburg kam Widmann auch auf Erik Ritter von Kuehnelt-Leddihn zu sprechen, den er positiver beurteilte, als ich es ihm damals zugetraut hätte. Beim Mittagstisch zwischen bayerischem Gulasch und Andechser Klosterbier entwarf er mir damals reichlich wirr erscheinende Theorien zu den alle Welt bewegenden Terroranschlägen vom 11. September. Ich konnte sie damals noch nicht recht einordnen. Erst als später der Piusbischof und Antisemit Williamson mit ähnlichen Thesen an die Öffentlichkeit trat und ich weitere Publikationen Widmanns, [25] besonders aber sein Interview mit der Internetseite muslim-markt.de gelesen hatte, wurde mir klar, worum es hier ging: um die Genugtuung extrem konservativer Katholiken angesichts des Islamismus, der dem moralisch verfaulten Westen unübersehbar und aggressiv Widerstand leistet.
    Widmanns Plädoyer für die islamische Kopfbedeckung verstand ich nun als die äußere Manifestation einer tiefen Sympathie für den kämpferischen Islam als einzig ernstzunehmender Gegenmacht gegen den Liberalismus, der für Widmann in der Internetpornographie seinen deutlichsten Ausdruck fand. Das Kopftuch stehe für die Scham der anständigen Frau und für deren Bereitschaft, die Autorität einer höheren Macht anzuerkennen. So sei das Tragen des Kopftuchs ein stiller Protest gegen

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