Der heilige Schein
die pornographische Verfasstheit der liberalen, gottlosen Staaten, die einer Autonomie und falschen Freiheit des Menschen das Wort redeten. Gegen diesen demokratischen Liberalismus, der in Wirklichkeit totalitär sei, müssten Christen und Muslime sich verbünden.
Widmann scheute sich auch nicht, den Islamismus als Vorbild für konservative Katholiken zu präsentieren und zu einem gemeinsamen »ökumenischen Djihad« aufzurufen: für eine »Schamkultur«, für Ehe und Familie, für die »Ehre der schamhaften Frau« und andere traditionelle Werte, die die fundamentalistischen Interpretationen beider Religionen verbinden. Außerdem gegen »Unzucht« (gemeint sind damit in der kirchlichen Sprache Homosexualität und vorehelicher Geschlechtsverkehr), Verhütung, Abtreibung sowie Ehebruch. [26]
Ausgerechnet jene, die sich mit Händen und Füßen gegen die Ökumene der katholischen mit den protestantischen Kirchen wenden, reden einer heiligen Kriegsallianz mit dem Islam das Wort. Ähnlich wie bei der Problematik der angeblichen Marienerscheinungen ist hier die Wahrheitsfrage zugunsten einer strategischen Position aufgegeben worden: der scheinbaren Eintracht im Kampf gegen die freiheitliche Kultur des Westens.
Nun ist man geneigt, sich bei aller Aufregung über den »ökumenischen Djihad« Widmanns damit zu trösten, dass dies die Einzelmeinung eines wenn auch einflussreichen Verlagsmenschen darstellt, die in keiner Weise repräsentativ für die katholische Kirche ist. Spätestens mit Alan Poseners Buch Benedikts Kreuzzug wurde uns dieser Trost allerdings entzogen. Posener zeigt auf, wie sehr man im Vatikan unter dem Pontifikat Benedikts XVI. an einer intensiven Zusammenarbeit mit dem fundamentalistischen Islam interessiert ist. Der Papst sieht in ihm einen schlagkräftigen Verbündeten gegen die »Diktatur des Relativismus«. Damit ist zunächst vor allem die Presse-, Rede- und Meinungsfreiheit im Hinblick auf religiöse Themen gemeint. So verwundert es nicht, dass sich der Vatikan beim Streit um die Mohammed-Karikaturen unzweideutig auf die Seite des radikalen Islams geschlagen hat: »Verspottung von Religion oder religiösen Symbolen ist unter keinen Umständen zu rechtfertigen.« [27]
»Diktatur des Relativismus« beinhaltet aber auch den »Sittenverfall« der westlichen Welt mit Ehebruch, Verhütungsmitteln, Sterbehilfe und Homosexualität, gegen den man gemeinsam ankämpfen will. Dass die katholische Kirche im Mai 2008 ausgerechnet mit den führenden Mullahs des Iran dazu ein gemeinsames Kampfdokument verabschiedet hat, lässt tief blicken. In Punkt 4 der Erklärung heißt es, man sei fest entschlossen, in Zukunft zusammenzuarbeiten, »um moralische Werte zu fördern«. [28]
Wer weiß, wie die »Förderung moralischer Werte« im iranischen Gottesstaat aussieht, kann ermessen, welche Sprengkraft in dieser gemeinsamen Marschroute steckt. Ein Beispiel, das mir persönlich naheliegt, sei hier angeführt. Amnesty International zufolge wurden bisher im Iran mehr als viertausend Männer wegen des Ausübens homosexueller Handlungen hingerichtet. Darunter auch minderjährige Jugendliche, die man vor den Augen ihrer Eltern und Schulfreunde und unter dem Beifall der anderen Zuschauer an Baukränen erhängte. Angesichts dieser erschreckenden Vorkommnisse erscheint die auf einem der Herrenabende geforderte Wiedereinführung des § 175 fast noch als »Katholizismus light«.
Obgleich Widmann also nichts anderes tat, als die päpstliche Marschrichtung aufzunehmen, wurde die meiste Werbung für sein Buch über das Kopftuchverbot nicht von katholischen Zeitschriften gemacht, sondern von extremistischen Muslimen. So brachte etwa die Internetseite muslim-markt.de ein ausgiebiges Interview mit Widmann und besprach das Buch euphorisch. Das ist die Seite, auf der kurz zuvor eine » Mubahala «, ein in ein Gebet verpackter Mordaufruf, an Hans-Peter Raddatz veröffentlicht worden war.
Vom Erfolg in vatikanischen Kreisen
Mit zu den schönsten Vierteln der Ewigen Stadt gehört das barocke Rom rund um den Palast der Farnese, das Parione -Viertel östlich des Tibers. Hier befindet sich auch der berühmte Campo de’ Fiori , auf dem im Jahr 1600 der italienische Philosoph und Dichter Giordano Bruno, der »Patron« der italienischen Freimaurer, von der Inquisition verurteilt, als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Überquert man den Platz am Denkmal Brunos vorbei und verlässt ihn dann in östlicher Richtung durch die Via del
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