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Der heilige Schein

Der heilige Schein

Titel: Der heilige Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Berger
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berühmtesten Werk, der Summa theologica.
    Der General des Ordens, der Argentinier Carlos Azpiroz Costa, begrüßte uns äußerst freundlich und zuvorkommend. Unser Zusammenleben mit der dort tätigen Ordensgemeinschaft gestaltete sich sehr angenehm und locker, auch wenn man meinem Freund und mir zur Aufrechterhaltung des anständigen Scheins zwei Gästezimmer zugewiesen hatte. Mit dem für die Römer so typischen Sinn für pragmatische Lösungen lagen diese - obwohl in dem riesigen Haus sicher noch weitere Zellen frei gewesen wären - genau nebeneinander, und der Flur war sehr still.
    In dieser reinen Männerkommunität, die für sich selbst nichts anderes kennt, als dass Männer Zusammenleben und sich mit eigentlich der Erotik entstammenden, aber über die Jahrhunderte institutionalisierten Gesten ihren gegenseitigen Respekt zeigen, zum Beispiel durch den Friedenskuss oder Pax, fielen wir im Übrigen als Männerpaar nicht weiter auf.
    Am letzten Tag des Kongresses, an dem ich bereits als Chairperson, also als eine Art Moderator der philosophisch-anthropologischen Sitzungen, sowie als Referent teilgenommen hatte, fanden schließlich die Ernennung der neuen Professoren und die Übergabe der Urkunden statt. Als Ort für die Feierlichkeiten hatte man die berühmte Sala dei Cento Giomi gewählt, die auch kunstgeschichtlich äußerst interessant ist, da der Künstler Giorgio Vasari sie auf Befehl des bereits im Alter von vierzehn Jahren zum Kardinal erhobenen Alessandro Farnese innerhalb von nur hundert Tagen vollständig mit Fresken ausmalen musste.
    Die vom Heiligen Stuhl angekündigte Teilnahme Papst Johannes Pauls II. an dem feierlichen Ereignis musste aufgrund des damals bereits angegriffenen Gesundheitszustandes des Heiligen Vaters kurzfristig abgesagt werden. Als Stellvertreter schickte er den französischen Kurienkardinal Paul Poupard , Präsident des päpstlichen Kulturrates. Er erschien erwartungsgemäß im eindrucksvollen Ornat eines Kardinals der römischen Kirche.
    Nach dem Verlesen der päpstlichen Grußbotschaft und der von typisch französischer Feingeistigkeit geprägten Rede des Kardinals über den Humanismus im 21. Jahrhundert wurden die bereits vom Format her stark überdimensionierten Ernennungsurkunden überreicht. Ich war nicht nur der Jüngste der Ernannten, sondern auch einer der wenigen, bei denen der Präsident der Akademie, der spanische Dominikanergelehrte und Vertraute von Johannes Paul II., Abelardo Lobato , eine längere, überschwänglich lobende Begründung für die Ernennung vortrug. Anschließend umarmte er mich mit deutlichem Nachdruck. Lobato erwähnte besonders die Tatsache, dass ich die lange unterbrochene Tradition wieder aufgenommen hatte, eine kommentierte Bibliographie der gesamten Thomasliteratur zu erstellen und jährlich zu publizieren. Daneben hatte ich aber auch schon eine ganze Reihe von mehr populären Einführungen in die Philosophie und Theologie des Thomas verfasst, darunter ein kleines Büchlein, in dem ich zeigte, dass bereits Thomas ein Anhänger der alten Liturgie war. Der Nachweis war nicht sonderlich schwer zu führen, da es zur Zeit des Thomas nur diese Liturgie gab, dennoch erfreut sich das ebenfalls in französischer und englischer Sprache erschienene Büchlein auch bei hohen Kirchenfürsten im Vatikan bis heute besonderer Beliebtheit.
    Während der Rede Lobatos erinnerte ich mich bruchstückhaft an einige Sätze Werner Bergengruens aus seinem häufig aufgelegten Römischen Erinnerungsbuch, das ich zur Vorbereitung unserer Romreise gelesen hatte: »Wir kommen nach Rom mit großen, ja ungeheuerlichen Erwartungen und finden uns, was auf der Welt selten geschieht, nicht betrogen. Wir betreten Rom in einer erhöhten Verfassung des Gemüts, wie keine andere Stadt des Erdkreises sie unserer Natur abzunötigen vermöchte, und etwas von dieser Verfassung wird uns für immer Zurückbleiben.« [33]
    Später hängte ich die Ernennungsurkunde in einem goldenen Rahmen über meinen Schreibtisch, um in mir jene »erhöhte Verfassung des Gemüts« immer wieder neu zu erwecken.
    Darüber, dass auch bei diesem Ereignis mein Lebenspartner an meiner Seite war, schaute man souverän hinweg, oder man tat so, als wäre unser gemeinsamer Auftritt das Normalste von der Welt. Jedenfalls wurde uns nie der Eindruck vermittelt, dass es irgendjemanden störte.
    Offiziell war mein Partner in S. Sabina als Mitglied des Dritten Ordens, der Laienabteilung der Dominikaner, gemeldet worden, und

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