Der heilige Schein
Pellegrino, stößt man direkt auf einen der schönsten und geschichtsträchtigsten Paläste Roms, den Palazzo della Cancelleria . Im September 2003 wurde ich dort zum korrespondierenden Professor der Päpstlichen Akademie des heiligen Thomas von Aquin ernannt.
In dem in der Frührenaissance von Bramante erbauten Palast, der zum Staatsgebiet des Vatikans gehört, haben nicht nur die Rota Romana, d.h. der oberste päpstliche Gerichtshof, sowie die Apostolische Signatur mit den diese leitenden Kardinälen ihren Amtssitz. Auch die Päpstliche Akademie des heiligen Thomas, eine der vornehmsten und ältesten Institutionen zur Erforschung des Lehrwerkes des mittelalterlichen Gelehrten von Aquino, hat hier seit mehr als hundert Jahren ihre Heimat.
Thomas von Aquin, der der Nachwelt eine große Menge philosophischer und theologischer Werke hinterließ, lebte zwar bereits im 13. Jahrhundert, erst seit dem 16. Jahrhundert aber gilt er als bedeutendster katholischer Philosoph und Theologe. Nachdem ihn Martin Luther als typisch päpstlich-katholischen Theologen abgelehnt hatte, hielten ihn die Katholiken für das beste »Gegengift« gegen die Reformation. Wollte man von da an ein theologisches oder philosophisches Buch in der katholischen Welt erfolgreich vertreiben, musste es im Geist des heiligen Thomas abgefasst sein. All jene, die solche Bücher verfassten, nannte man Thomisten. Spätestens seit der Aufklärung hatte Thomas dann die Rolle des mittelalterlichen Denkers, der sich gegen jede Modernisierung von Kirche und Gesellschaft stellt. Wer in der katholischen Kirche Karriere machen wollte, musste antimodern bzw. Thomist sein.
So verwundert es nicht, dass traditionell viele höchste kirchliche Würdenträger und Gelehrte aus aller Welt der Akademie angehören. Joseph Ratzinger war, bevor er zum Papst gewählt wurde, mehr als zwei Jahrzehnte lang Mitglied der Akademie. Außerdem die Kardinäle Camillo Ruini , langjähriger Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz, Christoph Schönborn, Erzbischof von Wien, oder Zenon Grocholewski , Präfekt der Vatikanischen Kongregation für das katholische Bildungswesen. Einige spätere Päpste, wie Johannes XXIII. oder Paul VI., haben hier ihr Doktorexamen in Philosophie abgelegt.
Um eine Mitgliedschaft kann man sich selbstredend nicht bewerben, sondern sie wird - wie bei päpstlichen Akademien üblich - in Abstimmung mit dem päpstlichen Staatssekretariat verliehen und man wird berufen. Die Mitglieder der Akademie sind im päpstlichen Jahrbuch unter den Mitgliedern des päpstlichen Hofes verzeichnet. Sie haben heute die Aufgabe, an den regelmäßig stattfindenden Disputationen der Akademie in einer in den Vatikanischen Gärten gelegenen päpstlichen Sommerresidenz teilzunehmen und ihre Redebeiträge in Form von wissenschaftlichen Aufsätzen in der Zeitschrift Doctor Communis , dem Publikationsorgan der Akademie, zu veröffentlichen.
Der für Rom typische, in seinem tiefen Blau genauso unermessliche wie unendlich leere Spätsommerhimmel wurde von keiner Wolke getrübt, als ich den Palazzo durch ein imposantes doppelflügeliges Tor und einen mehrstöckigen Säulenhof aus Rundbogenarkaden erstmals betrat, um dort im Rahmen des alle zehn Jahre stattfindenden Internationalen Thomistenkongresses in die Akademie aufgenommen zu werden. An meiner Seite war mein Partner, der mit nach Rom gekommen war, weil er wusste, wie viel mir diese Ernennung bedeutete. Begleitet wurden wir von zwei deutschen Geistlichen aus dem Dominikanerorden, einer davon ein guter Bekannter, mit dem mich nicht nur bis heute eine tiefe Freundschaft, sondern auch das Interesse an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Thomas von Aquin verbindet.
Er hatte auch dafür gesorgt, dass mein Partner und ich während des Thomistenkongresses im altehrwürdigen Generalat der Predigerbrüder, dem Hauptsitz des Dominikanerordens, bei der antiken Basilika S. Sabina auf dem Aventin übernachten konnten. Eine Ehre, die Laien sonst verwehrt und auch für Mitglieder des Ordens nicht leicht zu erreichen ist. Von dort oben, wo es das ganze Jahr über nach Zitronen und Pinien duftet und nur das Rauschen eines antiken Brunnens die Stille durchbricht, hat man den schönsten Blick über die ganze Stadt, bis zur berühmten Kuppel von St. Peter. Der Dominikaner Thomas von Aquin selbst lebte im 13. Jahrhundert im Konvent seines Ordens auf dem Aventino und wirkte dort als Professor. Hier begann er auch die Arbeit an seinem
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