Der heilige Schein

traditionsorientierten Milieu hätten damit gute Erfahrungen gemacht. Diese Frauen seien jung und schön und redeten vor allem nicht dauernd von Selbstverwirklichung. Vielmehr seien sie bereit, dem Mann eine große Kinderschar zu schenken und diese im katholischen Sinne aufzuziehen, was gerade heute für das Überleben der Tradition von größter Wichtigkeit sei. Die tridentinische Messe in Köln profitiere von diesem Nachwuchs im Hinblick auf die Zahl ihrer Ministranten außerordentlich. Ich dankte für den guten Rat, ging der Sache aber, sehr zum Verdruss meiner katholischen Freunde, nicht weiter nach.
    Allerdings fiel mir ab dem Zeitpunkt auf, dass überdurchschnittlich viele Männer aus den Kreisen der katholischen Traditionalisten mit asiatischen oder lateinamerikanischen Frauen verheiratet waren. Dass in solchen Ehen ähnliche Probleme auftauchen wie in »gewöhnlichen« Ehen, wenn die Frau nur selbstbewusst genug ist, erfuhr ich erst später. Typisch in traditionalistischen Kreisen ist, dass grundsätzlich die Frau am Scheitern einer Ehe die Schuld trägt. Zum Glück für die Betroffenen hat die katholische Kirche auch hier seit vielen Jahrhunderten ein Feigenblatt parat: die nachträgliche Annullierung der Ehe, womit der schöne Schein gewahrt wird, dass es in der katholischen Kirche eigentlich keine Ehescheidung gibt.
    Inzwischen braucht sich niemand mehr Sorgen zu machen, dass gut katholische Männer keine passende Frau finden. Seit einigen Jahren gibt es nämlich eine von konservativen Katholiken betriebene Webseite - www.kath treff.org, ein »Heiratsportal für Katholiken, die die Lehre der Kirche ernst nehmen« -, auf der man sich mit einem eigenen Profil auf die Suche nach einem gut katholischen Ehepartner machen kann. Was zum Beispiel Gayromeo für homosexuelle Männer leisten möchte, das findet sich hier in ähnlicher (wenn auch kostenpflichtiger) Form für katholische Traditionalisten. Selbst ein so bekannter Psychologe wie Manfred Lütz , Mitglied des Päpstlichen Rates für die Laien, findet das laut kathtreff.org »eine großartige Idee«. Und auch Kardinal Meisner wird mit einem Brief an die Macher der Seite dort als Unterstützer des Projekts aufgeführt: »Angesichts der theologisch-anthropologischen Voraussetzungen der christlichen Ehe kann ich nur dankbar sein dafür, dass nun ein katholischer Heiratsdienst im Internet entsteht, dessen Initiatoren für eine Seriosität und Vertrauenswürdigkeit bürgen, die dem hohen Wert der Ehe entsprechen.« [23]

Marienerscheinungen oder die Instrumentalisierung des Heiligen
    Im Großen und Ganzen herrschte bezüglich der bei den Herrenabenden diskutierten kirchenpolitischen und weltanschaulichen Fragen Einigkeit. Zwei Themen gab es jedoch, die deutliche Differenzen innerhalb des rechtskatholischen Lagers sichtbar machten.
    Das erste Reizthema, das beständig für Konflikte innerhalb des erzkonservativen Milieus sorgt, sind angebliche Marienerscheinungen. Dabei begnügen sich die Verfechter dieser Erscheinungen nicht mit den, freilich auch schon zweifelhaften, traditionellen Orten wie Lourdes oder Fatima, sondern sind beständig auf der Suche nach neuen, aufsehenerregenden Wundern.
    Kurz vor der Jahr tausend wende hielt der dem Engelwerk nahestehende Benediktinerabt Thomas Niggl auf einem der Herrenabende einen Vortrag» Thema seiner Ausführungen sollte ganz allgemein das Phänomen der Marienerscheinungen sein. Die nichtsahnenden Gäste mussten jedoch, als die Veranstaltung begann, feststellen, dass der Abend in eine Art Propagandaveranstaltung für den kirchlich nicht anerkannten Wallfahrtsort und die angeblichen Visionen von Heroldsbach umfunktioniert worden war.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg wollen in dem kleinen mittelfränkischen Dorf mehrere Kinder, nachdem sie kurz zuvor im Kino einen Film über die Marienerscheinungen im südfranzösischen Lourdes gesehen hatten, verschiedene Visionen gehabt haben: Maria kam im Birkenwald zu Besuch und badete das Jesuskind, sinnigerweise zusammen mit dem Leiter der freiwilligen Feuerwehr des Dorfes. Eine Hostie schwebte in der Art tridentinischer Liturgie durch die Luft. Eine ganze Kompanie Engel erschien den Kindern ebenso wie das bluttropfende Herz Jesu, der heilige Papst Pius X., der heilige Aloysius von Gonzaga sowie die heilige Maria Goretti . Pius X., der antimodernistischste Papst des 20. Jahrhunderts, wird von der Piusbruderschaft vereinnahmt; Aloysius von Gonzaga ist als Heiliger vor allem dafür bekannt