Der heilige Schein
Erscheinungen der Jungfrau Maria haben, die angeblich wöchentlich bestimmte Botschaften übermittelt. Im Unterschied zu Heroldsbach zeugen diese Botschaften von einer eher moderaten kirchenpolitischen und theologischen Einstellung und ziehen vor allem junge Katholiken an. Die Botschaften fordern Nächstenliebe und Frieden und waren den ökumenischen und interreligiösen Bestrebungen Papst Johannes Pauls II. wohlgesinnt.
Dass sich nun ausgerechnet Maria auf die Seite der ihrer Ansicht nach modernen Katholiken geschlagen haben sollte, war den traditionalistischen Katholiken ein äußerst schmerzender Dorn im Auge. So verwandelten sich jene, die bezüglich Heroldsbach bereit waren, noch die lächerlichsten und offensichtlichsten Torheiten willig hinzunehmen, an diesem Abend in die schärfsten Kritiker der angeblichen Marienerscheinungen von Medjugorje. Diese seien nichts anderes als satanischer Betrug, um die Kirche progressistisch zu unterwandern, und reine Geldmacherei der Seherkinder sowie der sie pastoral betreuenden Franziskanerpatres . Spätestens ab diesem Zeitpunkt war mir klar, dass das Übernatürliche einer der großen Streitpunkte innerhalb der konservativen Katholikenschaft ist.
Am Beispiel der Marienerscheinungen wird deutlich, dass traditionalistische Katholiken - trotz ihres angeblich unbedingten Einsatzes für die integrale Wahrheit, die sie über alles stellen - bei Bedarf das als unwahr aussortieren, was ihrer Weltanschauung nicht entspricht, und das als Wahrheit propagieren, was ihren politischen und theologischen Optionen zugutekommt.
Inwiefern diese Beobachtung repräsentativ für den konservativen Katholizismus ist, zeigt wiederum die »Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum« (TFP). Diese macht die Marienerscheinungen im portugiesischen Fatima, wo Maria drei Hirtenkindern erschienen sein und ihnen Botschaften übermittelt haben soll, zur Grundlage ihres politischen Handelns. Maria hatte dort angeblich im Jahr 1917 den Papst auf gefordert, Russland ihrem »unbefleckten Herzen« zu weihen. Dass Russland just in jenem Jahr von der Revolution heimgesucht wurde, fasst die TFP als Beweis auf, dass Maria bzw. Gott die Gegenrevolution der TFP, deren politischen Kampf gegen Demokratie, Sozialismus und Kommunismus sowie für die Monarchie, ausdrücklich gutheißt, ja geradezu befiehlt. Gestärkt sehen sie sich dabei durch den gegenwärtigen Papst, der im Mai 2010 den portugiesischen Wallfahrtsort besuchte und sich schon als Kardinal bei Papst Johannes Paul II. für die Publikation der vollständigen Botschaften von Fatima eingesetzt hatte.
Das in theologischer Hinsicht Schlimme an dem Marienerscheinungswahn ist, dass man so heilige Dinge wie die Verehrung der Gottesmutter Maria entwürdigt, indem man sie (kirchen-)politisch instrumentalisiert und glaubt, mit abstrusen Wundergeschichten attraktiv machen zu können. Während die erzkatholischen Kreuzritter unserer Tage ständig auf der Lauer liegen und bei jeder Kritik an ihrer Kirche bösartige Gotteslästerung am Werk sehen, gegen die der Staat vorzugehen habe, begehen sie selbst Blasphemie, gut getarnt durch das scheinheilige Etikett eines rechtskatholischen Programms.
Der Islam - ökumenischer Dschihad oder christlicher Kreuzzug?
Der zweite Punkt, der für eine tiefe Kluft innerhalb des erzkonservativen katholischen Milieus sorgt, ist die Frage, wie der gegenwärtige Islam einzuschätzen sei.
Dass innerhalb des Herrenabend-Netzwerks große Einigkeit hinsichtlich der Ablehnung der interreligiösen Bemühungen Papst Johannes Pauls II. herrschte, wurde bereits erwähnt. Mit dem interreligiösen Friedenstreffen in Assisi sei der Papst selbst vom wahren Glauben abgefallen und habe den Feinden die Schlüssel der heiligen Stadt ausgeliefert. Zwar könne man Johannes Paul die lauteren Motive seines Handelns nicht abstreiten, man dürfe aber auch nicht übersehen, wie gefährlich dieses falsche Signal an die Öffentlichkeit, zumal an die islamische Welt sei: ein Signal der Relativierung der singulären Bedeutung des Christentums bzw. der Erlösung durch Christus. Bestärkt sahen sich die konservativen Theologen in ihren Bedenken durch Äußerungen des damaligen Kardinals Ratzinger, die in traditionalistischen Zirkeln die Runde machten. Auch der oberste Glaubenshüter sehe die Assisi-Aktion des Papstes kritisch und sei nur auf dessen ausdrücklichen Befehl hin zu dem Treffen der Religionen gefahren. Ein Professor erzählte in
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