Der heilige Schein
geworden, dass er niemals in seinem Leben einer Frau ins Gesicht geschaut hat und kein einziges Mal der »Sünde der Onanie« verfallen ist; die heilige Maria Goretti wehrte sich beim Annäherungsversuch eines etwas älteren Jungen so heftig, dass sie dabei ums Leben kam und von Pius XII. 1950 zum Vorbild aller Jugendlichen erklärt wurde, die »lieber den Tod suchen sollten als in irgendeine Sünde der Unkeuschheit zu fallen«. [24] Zuvor hatten Mussolinis Faschisten das Mädchen bereits für sich instrumentalisiert, indem sie es zur Märtyrerin des weiblichen Gehorsams und der keuschen Mütterlichkeit erklärten. Noch heute trägt ein katholischer Verein, der gegen jede Form des Sexualkundeunterrichts in der Schule sowie die Legalisierung von Abtreibung, Verhütungsmitteln und Homosexualität kämpft, den Namen des süditalienischen Mädchens.
Thematisch handelte es sich also bei den Ereignissen von Heroldsbach um Visionen ganz nach dem Geschmack eines traditionalistischen Katholiken - wären da nicht die kirchlichen Untersuchungen und das von Rom festgehaltene Ergebnis gewesen, dass es sich keinesfalls um echte Erscheinungen gehandelt hatte. Hinzu kam noch die Peinlichkeit, dass die fanatischen Anhänger, die aus dem Wallfahrtsort ein »deutsches Lourdes« machen wollten, auch vor Schwindel nicht zurückschreckten. So pries man es als Beweis für die Echtheit der Erscheinungen der 50er Jahre und als stille Anklage des Himmels gegen die gegenwärtige, dem Modernismus verfallene Kirche, dass dort eine Jesus- und eine Marienstatue gleich zwei Mal Tränen geweint hätten. Eine Untersuchung von Wissenschaftlern ergab dann freilich, dass die vermeintlichen Tränen in ihrer Zusammensetzung exakt dem Leitungswasser in der Gebetsstätte entsprachen, außerdem fand man in Mülleimern in der Nähe der Statuen Pipetten. Von all dem wollten die Heroldsbachgläubigen aber nichts hören, die Ergebnisse wurden schlichtweg nicht zur Kenntnis genommen. Man fühlte sich im wärmenden Licht des heiligen Scheins offenbar so wohl, dass man ihn sich nicht durch die Realität kaputtmachen lassen wollte.
Aus Anlass der Werbeveranstaltung für Heroldsbach hatte man den Herrenabend sogar in eine gemischtgeschlechtliche Veranstaltung umgewandelt, da eine der Seherinnen von Heroldsbach selbstbewusst als Ehrengast auftrat. Sie hatte auch ihre Tochter mitgebracht, die mir mit einem beinahe gewagten Augenzwinkern als noch ledig vorgestellt wurde und neben der ich dann den ganzen Abend beim Dinner sitzen durfte. Eine Hochzeit in Weiß zwischen der Seherinnentochter von Heroldsbach und einem angehenden Shooting-Star der katholischen Traditionalistenszene hätte hervorragend ins Herrenabendkonzept gepasst. Es gab nur ein kleines Problem: Wir hatten kein wirkliches Interesse aneinander.
Hintergrund der Veranstaltung war selbstredend nicht das eventuell zu weckende Interesse zweier junger Menschen aneinander, sondern die Tatsache, dass der Gastgeber des Abends ebenfalls ein überzeugter Anhänger der Marienerscheinungen von Heroldsbach war.
Andere freilich sahen die Sache kritisch. Der Kölner Prälat Overath war äußerst wütend darüber, dass man ihn unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu der Veranstaltung gelockt hatte. Auch weitere Gäste, so der Philosoph Walter Hoeres, zeigten sich Heroldsbach gegenüber ablehnend. Die Gefahr, dass dadurch das traditionalistische Anliegen zu sehr in den Bereich der »Spökenkiekerei« (Hoeres) gezogen werden könnte, war den weniger naiven Teilnehmern durchaus bewusst. Auch ich stellte mich auf die Seite der vorsichtigen Kritiker, wodurch ich beim Gastgeber derart in Misskredit geriet, dass ich zu den nächsten Herrenabenden keine Einladung erhielt.
Im August 2001 war ich dann erneut zu einem Herrenabend eingeladen, der Marienerscheinungen gewidmet war. Der Gastgeber hatte keinen finanziellen Aufwand gescheut und den Journalisten Michael E. Jones aus den USA einfliegen lassen. Jones gilt als bekanntester antisemitischer Katholik der Vereinigten Staaten sowie als unnachgiebiger Kämpfer gegen Feminismus, moderne Architektur, die Rechte Homosexueller und die angebliche Säkularisierung katholischer Universitäten. In einem Gespräch mit mir äußerte er sich in harten Worten über die angebliche Verderbnis der westlichen Gesellschaft. Jones hatte kurz zuvor ein Buch über den Wallfahrtsort Medjugorje geschrieben. In dem kleinen Ort in Bosnien-Herzegowina will eine Gruppe von Sehern seit den 80er Jahren
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