Der heilige Schein
Kurse in thomistischer Philosophie gibt.
Jeder, der sich ein wenig in der Geistesgeschichte auskennt, wird sich fragen, warum es gerade der mittelalterliche Denker Thomas von Aquin ist, der auch für viele Homosexuelle zur denkerischen Leitfigur wird. Ausgerechnet jener Theologe, der nicht nur für seine von Aristoteles übernommene Frauenfeindlichkeit bekannt ist, sondern dessen Naturrechtslehre in Diskussionen mit kirchlichen Würdenträgern immer wieder als Argument gegen die Forderung einer Gleichberechtigung homosexueller Menschen herhalten muss. Der mit dem Prinzip »Je unnatürlicher, desto schwerer die Sünde« [35] dafür verantwortlich ist, dass ab dem 13. Jahrhundert die »Sünde Sodoms « nicht mehr nur eine von vielen Verfehlungen des Sexuallebens darstellte, sondern in der katholischen Kirche zur schlimmsten aller »Unzuchtssünden« aufgewertet wurde. Zu einer Todsünde, die vom Staat auch mit der Todesstrafe geahndet werden sollte. Die berühmte Peinliche Gerichtsordnung schrieb diesen Vorschlag, den man schon zuvor befolgt hatte, im 16. Jahrhundert juristisch fest.
Bei mir persönlich hatte die Faszination für Thomas zunächst etwas mit der Exklusivität zu tun, die die Beschäftigung mit diesem Theologen bedeutete. In der deutschen Universitätstheologie und auch in der Philosophie war er lange Zeit vernachlässigt und missachtet worden, nachdem man ihn zuvor jahrhundertelang künstlich gefördert hatte. Als Elftklässler verstand ich noch nicht viel von den mittelalterlichen Fragestellungen seiner Werke. Aber es gefiel mir, dass ich wegen dieses Hobbys von meinen Mitschülern als etwas außergewöhnliche Person und von den Lehrern mit einem gewissen misstrauischen Respekt angesehen wurde. Nach dem Abitur und während meines Studiums blieben die Werke des Thomas dennoch meist unberührt in meinem Bücherschrank liegen. Auch in meiner Doktorarbeit, die sich vor allem mit der neuzeitlichen Theologie beschäftigte, spielten sie keine große Rolle.
Erst ein Gespräch mit der Philosophin Alma von Stockhausen brachte hier eine Wende. Kurz nach meiner Dissertation besuchte ich im Jahr 1999 auf ihre Einladung hin die Gustav-Siewerth-Akademie im Schwarzwald, um dort einen Vortrag über Karl Rahner zu halten. Ich war der Einladung gerne gefolgt. Alles, was in diesem Milieu Rang und Namen hat, konnte die Baronin von Stockhausen in den letzten zwanzig Jahren an ihre Hochschule holen. 1988 von dem damaligen Kardinal Ratzinger und ihr gegründet, erfreut sich die Akademie bis zum heutigen Tag des Wohlwollens hoher Kirchenfürsten konservativer Couleur.
Am Rande sei erwähnt, dass die Eröffnungsmesse zur Akademiegründung von den beiden Geistlichen Bischof Krenn und Marcial Maciel gefeiert worden war. Krenn musste 2004 nach einem Sexskandal in seinem Priesterseminar vom Bischofsamt zurücktreten; Pater Maciel , der Gründer der konservativen Priestervereinigung »Legionäre Christi«, wurde 2006 vom Vatikan zum Rückzug aus der kirchlichen Öffentlichkeit verpflichtet, nachdem bekannt geworden war, dass er sich über viele Jahre des sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig gemacht hatte. Diese Anschuldigungen waren schon Jahrzehnte zuvor bis in den Vatikan vorgedrungen, dieser hatte dazu jedoch beharrlich geschwiegen und dem konservativen Pater so einen Freibrief für weitere Untaten ausgestellt. Ebenfalls interessant ist die Verbindung der Akademie zu den bereits erwähnten Visionen von Heroldsbach: An der dortigen Wallfahrtsstätte wirkt Pater Dietrich von Stockhausen, der Bruder von Alma von Stockhausen, als Seelsorger.
Es war unsere erste Begegnung, und die adlige Philosophin machte durchaus Eindruck auf mich: Obgleich äußerlich eher unscheinbar, herrschte sie unter lauter Männern in ihrer Akademie wie eine charismatische Königin oder große Mutter. Die Kleriker, mit denen sie sich umgeben hatte, waren ebenso wie die Studierenden ihr gegenüber von unterwürfiger Ergebenheit.
Am Abend vor dem Vortragstag empfing sie die Referenten im großen Kaminzimmer der Akademie. Ein aus Polen stammender Pater, ihr Stellvertreter und Seelsorger der Akademie, hatte die Aufgabe, den Gästen teuren Rosé-Wein zu servieren - eine kleine Entschädigung dafür, dass den referierenden Gästen kein Honorar gezahlt wurde.
In dem langen Gespräch, dessen Fäden die Baronin von ihrem zentral platzierten, herrschaftlichen Sessel aus stets in der Hand behielt, ging es vor allem um die geistige Dürftigkeit, die gerade im
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