Der heilige Schein
meiner Hände, dass man nicht nur meine wissenschaftliche Arbeit, sondern auch meine Person sehr schätzte.
Nicht nur im Hinblick auf meine Karriere verschaffte mir meine Jugend damals gelegentlich unverhofft Vorteile. Einmal fuhr ich, da ich es zeitlich nicht anders einrichten konnte, direkt vom Fitnessstudio in eine bekannte Klosterbibliothek. Ich wollte nach älteren Büchern sehen, die dort mehrfach vorhanden waren und daher zum Verkauf angeboten wurden. Zeit zum Umziehen war nicht mehr gewesen, so dass ich in meinem Sport-Outfit in der Bibliothek auflaufen musste, was mir eher unangenehm war. Schnell gewann ich jedoch den Eindruck, dass dies beim Leiter der Bibliothek, einem älteren Pater und Freund der alten Liturgie, genau gegenteilig war. Er wollte allerlei Einzelheiten über das Bodybuilding wissen, schaute sich meine Oberarme und Waden genau an und kommentierte mit Worten, die eher in einen Softporno als in eine Klosterbibliothek gepasst hätten, deren Ausbildung sowie meine Turnschuh- und Sockenmarke. Der Pater war mir nicht sehr sympathisch, die Sache daher etwas peinlich, also zog ich mich schnell zu den Dublettenregalen zurück, wo ich auch fündig wurde. Zwei Kisten seltener Bücher, die ich schon lange gesucht hatte, waren die Ausbeute, mit der ich in die Preisverhandlungen ging. Zu meinem großen Erstaunen bestand der Pater dann jedoch darauf, sie mir allesamt zu schenken.
Sieht man einmal von diesem Fall ab, in dem schließlich aber doch die von mir gezogenen Grenzen respektiert wurden, muss ich zur Ehrenrettung dieser Priester sagen, dass sie sich mir gegenüber insgesamt sehr nobel verhielten. Was sie taten, geschah liebevoll und niemals aufdringlich oder in einer Weise, die mir unangenehm war.
Dieses Phänomen einer auf Äußerlichkeiten beruhenden Bevorzugung sollte mir in den nächsten Jahren häufiger begegnen, und noch heute werde ich daran erinnert, wenn sich die Klatschpresse über das Aussehen der Sekretäre hoher katholischer Würdenträger auslässt. So schrieb der Berliner Tagesspiegel am 22. August 2005 über Prälat Georg Gänswein, den Privatsekretär Papst Benedikts: »Italiens Frauenwelt ist hingerissen. Bunte Magazine präsentieren den Blonden mit den unwiderstehlich blauen Augen auf ihren Titelseiten; sie nennen ihn den »George Clooney der katholischen Kirche< und finden ihn >faszinierender als Hugh Grant<. Sogar die >Weltwoche< aus der biederen Schweiz hält Gänswein für »unbestritten den schönsten Mann im Talar, der je im Vatikan zu sehen war<. Noch nie hat der Sekretär eines Papstes so eine Aufmerksamkeit erregt wie Georg Gänswein: sportlich, aktiver Tennisspieler und Skifahrer - Gran Sasso eben statt Feldberg -, schlank, hochgewachsen, ein Freund guten Essens und ein ungezwungener, locker plaudernder Tischgenosse auf stimmungsvollen Plätzen der römischen Altstadt. Vor drei Wochen ist Gänswein 49 Jahre alt geworden, aber er sieht jünger aus - schon gar nicht so verkniffen und grau wie sein Vorgänger Stanislaw Dziwisz , den das auf > bella figura < bedachte Rom 26 Jahre lang als Privatsekretär von Johannes Paul II. zu ertragen hatte.«
Revisionistischer Thomismus als gefahrlose Alternative
Im Laufe meiner akademischen Beschäftigung mit Thomas von Aquin bin ich mit sehr vielen Männern (und einigen wenigen Frauen) in Kontakt gekommen, die sich für das Denken des Thomas von Aquin begeisterten. Und nicht wenige dieser Männer waren, wie ich bei näherer Bekanntschaft feststellte, ebenfalls schwul.
Lediglich einer der bekannten Thomisten hat es jedoch gewagt, auch öffentlich dazu zu stehen: Mark D. Jordan, vielleicht der begabteste unter den amerikanischen Thomasforschern . Jordan hatte allerdings, im Unterschied zu den vielen Thomisten aus dem Klerikerstand , den Vorteil, dass er diesen Schritt tun konnte, ohne ein ökonomisches Risiko einzugehen. Ursprünglich aus dem konservativen Milieu kommend und noch beschäftigt am Institut für mittelalterliche Philosophie der katholischen University of Notre Dame in Indiana, hatte er zur Zeit seines Outings bereits einen Lehrstuhl an einer konfessionell nicht gebundenen Universität in Aussicht. Hier konnten ihm seine Veranlagung und sein Plädoyer für eine grundlegende Richtungsänderung der katholischen Kirche im Hinblick auf die Homosexualität nicht schaden. Heute hat Jordan den äußerst prestigeträchtigen und hochdotierten Richard Reinhold Niebuhr Chair an der Harvard Divinity School inne, wo er nach wie vor
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