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Der heilige Schein

Der heilige Schein

Titel: Der heilige Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Berger
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beiden Priester wurden demnach ermahnt, ihre »kirchlichen Amtshandlungen nicht durch Unklugheit in den Dienst homosexueller Beziehungen zu stellen«. Die Ermahnung verlange auch, »keine homoerotisch wirkenden Dinge beziehungsweise ein zweideutig unkluges Verhalten gegenüber anderen Männern zuzulassen«, oder verbiete gar, »eine homosexuelle Beziehung fortzuführen oder zu beginnen oder homosexuelle Lokale zu besuchen«. Die Ermahnten sollten außerdem eine gewählte Alltagssprache pflegen, und diese Sprache sollte immer von der Liebe zum Nächsten getragen sein.
    Auch wenn es sich hier nur um jugendfreie Ausschnitte aus dem nach Rom gegangenen Visitationsbericht handelt, lassen sich daraus sehr gut Rückschlüsse auf das ziehen, was sich in jenen Jahren im Priesterseminar St. Pölten zugetragen hat.
    Als Folge des Skandals musste das zuvor noch als enorm erfolgreiches und zugleich konservativstes katholisches Priesterseminar Europas gefeierte und von Papst Johannes Paul II. lobend erwähnte Haus geschlossen werden. Krenn wurde in seinem Bischofsamt durch den Visitator Klaus Küng abgelöst, der eine der beiden beschuldigten Seminarleiter wurde seines Amtes enthoben, und auch der andere erhielt »endgültig« Berufsverbot. Oder in der Sprache des katholischen Kirchenrechts, er wurde suspendiert.
    Die Fördergemeinschaft von Theologisches beschloss darüber hinaus, dem betroffenen Autor ein Publikationsverbot für die Zeitschrift zu erteilen. So wertvoll seine Mitarbeit unter inhaltlichen Aspekten immer gewesen sei, als suspendierter Priester sei er unter keinen Umständen mehr als Autor tragbar. Federführend bei der Durchsetzung dieses Publikationsverbotes waren erwartungsgemäß aus dem Opus Dei stammende Mitglieder der Fördergemeinschaft. Ich enthielt mich damals bei der nicht geheimen Abstimmung der Stimme, weil ich der Überzeugung bin, dass man Inhaltliches von Persönlichem gerade in der Wissenschaft streng trennen sollte.

Verschwörungstheorien als Feigenblatt
    Nun könnte man meinen, die beiden Herren auf den Fotos hätten angesichts der unzweideutigen Situation einfach einräumen sollen, Fehler gemacht zu haben, und erklären können: »Unsere Veranlagung ist aber kein Verbrechen und wir bemühen uns in Zukunft, unserer Verantwortung gerecht zu werden.«
    Doch nichts dergleichen geschah: Während der ehemalige Regens sich in ein Stift zurückzog und es im kirchlichen Milieu sehr still um ihn wurde, beschritt der Gänswein-Freund einen etwas anderen Weg. Er wies alle Vorwürfe entschieden zurück und bezeichnete die Interpretation der Fotografien als Missverständnis. Der Eindruck, es handle sich um einen innigen Zungenkuss, beruhe auf einer optischen Täuschung; in Wirklichkeit zeige das Foto den Austausch eines »Pax«, wie er in kirchlichen Kreisen - zumal unter jüngeren Männern - in und außerhalb der Liturgie weithin üblich sei. Auch die These, das Foto sei eine Fotomontage, brachte der Subregens zeitweise ins Gespräch. Die Orte, an denen er sich öfter in Zivilkleidung aufgehalten habe, ein von den Visitatoren für einen Homosexuellentreffpunkt gehaltenes Fitnessstudio sowie der Wiener Westbahnhof, habe er aus ehrenwerten Gründen der körperlichen Ertüchtigung oder kultureller Aktivitäten aufgesucht.
    Die kirchlichen und zivilen Richter scheint diese Argumentation allerdings nicht überzeugt zu haben. Seine Versuche, gegen die Interpretation der Fotos sowie die anderen Enthüllungen der Medien zivilrechtlich und gegen die Beschlüsse der Visitation, besonders seine Suspendierung, kirchenrechtlich vorzugehen, scheiterten.
    Und doch gelang es, eine Wende in seinem Fall herbeizuführen, und zwar, indem man sich einer ganz anderen, immer wieder erfolgreichen Methode bediente: Die Enthüllung sowie die nachfolgende Visitation wurden vom konservativen Freundeskreis des promovierten Kirchenrechtlers als Komplott liberaler Kirchenfürsten gegen den streitbaren, authentisch katholischen und papsttreuen Kurt Krenn und sein sehr erfolgreiches Priesterseminar umgedeutet. Mit Hilfe falscher Unterstellungen habe man St. Pölten liquidieren wollen. Zu dem Zweck sei Krenn schon im Vorfeld ausgiebig bespitzelt worden.
    Hinter den Kulissen des Kampfes gegen die angebliche modernistische Verschwörung setzte bei einigen der von der Visitation der Homosexualität »Beschuldigten« ein auffälliger Sinneswandel ein. Der promovierte Kirchenrechtler und die Seinen hatten zu einem extrem homophoben Umfeld

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