Der heilige Schein
diesem neuen Dokument gegen ihre offizielle, noch 1993 im Weltkatechismus formulierte Doktrin, dass homosexuell veranlagten Menschen »mit Takt zu begegnen« sei und sie in »keiner Weise ungerecht zurückzusetzen« seien. Die Diskriminierung homosexuell veranlagter Priester und die daraus folgende »ungerechte Zurücksetzung« aller schwulen Männer wird in dem Dokument von 2005 geradezu zum Programm erhoben. Entweder hat die Kirche ihre Position bezüglich einer für sie offensichtlich zentralen Frage innerhalb weniger Jahre grundlegend geändert (was ihrem eigenen Traditionsverständnis widerspräche), oder die Toleranz des Weltkatechismus war pure, strategisch begründete Scheinheiligkeit, die nicht das wirkliche Denken der Kirche spiegelte.
Was im Vorfeld des St. Pölten-Skandals auch immer abgelaufen sein mag, ob es tatsächlich eine geplante Aktion war, um Krenn loszuwerden, oder nicht - Tatsache ist, dass das vatikanische Dokument wie kein zweites dazu geeignet ist, unliebsame Personen wegzumobben . Damit steht es in der unseligen Tradition der Hexenbulle Papst Innozenz’ VIII. sowie des Hexenhammer; das im 15. Jahrhundert erschienene Buch diente zusammen mit der Weisung des Papstes über Jahrhunderte zur Legitimation der Hexenverfolgung.
Die Verfasser und Unterzeichner dieser Instruktion zum Thema Priesteramt und Homosexualität wissen natürlich genau, wie viele schwule katholische Priester und Priesteramtskandidaten es gibt. Wer den hungrigen und durstigen Gästen an einem reich gedeckten Tisch nicht nur das Essen und Trinken streng verbietet, sondern auch schon das Bedürfnis nach Speise und Trank unter Strafe stellt, wird immer zahlreiche »Verbrecher« zur Auswahl haben. Wenn einer dieser vielen Priester seinen Vorgesetzten, aus welchem Grund auch immer, unangenehm auffällt, haben diese durch die neue kirchliche Rechtsprechung alle Machtmittel in der Hand, um den Renitenten gefügig zu machen und ihm die Möglichkeit zur Selbstverteidigung zu nehmen. Ohne dass er jemals eine homosexuelle Handlung ausgeführt haben muss, genügen bereits seine bloße Veranlagung oder seine Sympathien für eine aus solcher Veranlagung entstandene Kultur, um ihm ganz klar zu sagen: »Du hast gar kein Recht, Priester zu sein! Du bist ein nicht abzuschätzendes Sicherheitsrisiko für unsere Kirche!«
Diese düstere Ausgangslage ist die Basis für die kirchenamtlich umfangreich praktizierte Bigotterie. Dem heiligen Schein zufolge gibt es offiziell keine homosexuellen Priester mehr. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an ein Gespräch mit einem hohen Kirchenfürsten, der mich kurz nach Publikation des römischen Dokuments zum Tee eingeladen hatte, um mich in meiner Arbeit als Herausgeber von Theologisches zu bestärken. Irgendwann kamen wir auf das Thema »Homosexualität und Priestertum« zu sprechen. Dabei versicherte er mir voller Pathos, er lege seine Hände dafür ins Feuer, dass er noch niemals einen homosexuell veranlagten Mann zum Priester geweiht habe. Es sei ihm ein zentrales Anliegen, genauestens darauf zu achten, dass die Priester seiner Diözese gesunde und natürliche Männer seien, die unter anderen Umständen auf jeden Fall eine Familie gegründet hätten.
Ich kannte etliche Priester, die von ihm geweiht worden waren, wusste daher auch, dass der Anteil homosexuell Veranlagter unter ihnen genauso erstaunlich hoch war wie in anderen europäischen Diözesen auch.
Anfangs hielt ich den Bischof einfach nur für naiv, je mehr ich mich aber mit den Priestern seiner Diözese über seine Art zu regieren unterhielt, desto klarer wurde mir: Der schöne Schein diente hier, wie in den meisten anderen Fällen auch, dem Machterhalt der herrschenden Autorität. Wer in dieser Märchenwelt mitspielt, wird dadurch belohnt, dass er unbehelligt bleibt, selbst wenn er sich gewisser Vergehen schuldig macht - sofern er kirchenpolitisch richtig eingenordet ist.
Die bei konservativen Bischöfen verbreitete Haltung, Homosexualität in der Kirche zu negieren, erinnert an Gepflogenheiten in diktatorischen Gottesstaaten wie dem Iran oder im faschistischen Italien unter Benito Mussolini. Als der iranische Präsident Ahmadinedschad bei einem Besuch in New York vor einigen Jahren auf die Verfolgung von Homosexuellen in seinem Land angesprochen wurde, antwortete^ er, so etwas gebe es dort nicht, und zwar ganz einfach deshalb, weil es keine Homosexuellen gebe. Ähnlich hatte sich viele Jahre zuvor der »Duce« ausgedrückt: »In
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