Der heilige Schein
ist zunächst der Begriff der »homosexuellen Kultur« äußerst diffus und dadurch je nach Bedarf extrem dehnbar. Unterstützt diese Kultur schon, wer sich ein Bild der homosexuellen Maler Caravaggio oder Michelangelo aufhängt oder gar seine Hauskapelle damit schmückt, zumal wenn die Männer darauf nackt sind? Oder gilt dies nur für katholische Priester, die anstelle der Fronleichnamsprozession einen Christopher Street Day in ihrer Pfarrei organisieren? Auch woher die im Dokument nicht weiter begründete These stammt und was für sie spricht, dass homosexuell Veranlagte angeblich keine korrekten Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen können, bleibt schleierhaft.
Was mit »negativen Folgen« gemeint ist, wird dagegen ziemlich deutlich: Vorausgegangen waren dem Dokument zahlreiche Missbrauchsskandale in den USA, die die Kirche dort moralisch und finanziell schwer belastet hatten. In Europa war der Fall des Wiener Kardinals Groer allen Beteiligten noch lebhaft in Erinnerung. Groer hatte 1995 zurücktreten müssen, nachdem bekannt geworden war, dass er Jahre zuvor abhängige Jugendliche sexuell missbraucht hatte. Die Affäre löste in ganz Österreich eine enorme Welle von Kirchenaustritten und ein von mehr als einer halben Million Gläubigen unterstütztes Kirchen Volksbegehren aus. In beiden Fällen hatte sich, zunächst noch hinter verschlossenen Türen, bei den meinungsführenden konservativen Kirchenmännern die auf der Gleichsetzung von Pädophilie und Homosexualität gründende Lesart durchgesetzt, dass an den Missbrauchsfällen nur die Homosexuellen schuld seien.
Einen aktuellen Hintergrund mit ganz eigener Dimension bildete der Skandal um das Priesterseminar der von Bischof Kurt Krenn geleiteten österreichischen Diözese St. Pölten. Sicher hatte Papst Benedikt auch seinen Duzfreund und ehemaligen Regensburger Kollegen Krenn vor Augen, als er das Dokument Unterzeichnete.
Der Sexskandal von St. Pölten
Die Ernennung von Kurt Krenn zum Bischof von St. Pölten im Jahr 1991 war ein wichtiges Sympathiezeichen des damaligen Papstes und vor allem dessen Privatsekretärs Dziwisz , der eng mit Krenn befreundet war, an die Ultrakonservativen . Galt Krenn, der immer wieder durch seine verbalen Attacken gegen Andersdenkende, andere Religionen, Frauen, Homosexuelle und die Demokratie aufgefallen war, doch als einer der profiliertesten erzkonservativen Kirchenmänner in Österreich. Zeitweise dachte man in Rom ernsthaft daran, ihn zum Nachfolger Kardinal Königs als Erzbischof von Wien zu machen und damit auch zum Kardinal zu ernennen. Gruppierungen aus dem rechtskonservativen Milieu, die es in anderen Diözesen schwer hatten, wie etwa das Engelwerk oder die »Diener Jesu und Mariens«, nahm Krenn großzügig in seiner Diözese auf. Antisemitische Traditionen wie der Anderl -Kult erfreuten sich seines besonderen Wohlwollens. Sein Priesterseminar wurde dadurch zum Anziehungspunkt für zahlreiche ebenfalls extrem konservative junge Männer aus ganz Europa.
Ich bekam indirekt mit dem Skandal von St. Pölten zu tun, und das nicht nur durch meine Lehrtätigkeit am Seminar der »Diener Jesu und Mariens«, wo ich in jenem Jahr noch Arbeiten von Studenten betreute. Am Nachmittag des 11. Juli 2004 erreichte mich die E-Mail eines namentlich nicht identifizierbaren Absenders mit der Aufforderung, mir die angehängten Fotos anzusehen und zu überlegen, ob solch ein Mitarbeiter für die Zeitschrift Theologisches noch tragbar sei.
Insgesamt waren der seltsamen Nachricht vier Fotografien angehängt. Die ersten beiden zeigten einen Mann, einmal mit T-Shirt, einmal mit römischem Priesterkragen, der einem jüngeren, aber erwachsenen Mann in Zivilkleidung in den Schritt fasste. Beide Männer waren mir unbekannt. Später erfuhr ich, dass es sich bei dem aktiven Herrn um den damaligen Regens des Priesterseminars von St. Pölten und Propst des Stiftes Eisgarn handelte, der sich sonst eher sehr fromm im vollen Barockornat mit Mitra fotografieren ließ.
Auf den anderen beiden Fotos waren zwei Männer in Priesterkleidung zu sehen, die sich einmal umarmten und auf der anderen Fotografie einen innigen Zungenkuss gaben. Einen der beiden Geistlichen kannte ich. Er war einer der wichtigen Autoren von Theologisches, zu jener Zeit Subregens des Priesterseminars der Diözese St. Pölten und enger Vertrauter Bischof Krenns. Schon bei meinem Amtsantritt hatten mir die Herren der Fördergemeinschaft nahegelegt, dessen Mitarbeit an der
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