Der heilige Schein
Italien gibt es nur echte Männer!« Besagter Bischof hatte das Wort »echt« lediglich durch »gesund« ersetzt.
Warum also hätten die Priester aus St. Pölten ehrlich ihre homosexuelle Veranlagung einräumen sollen, wenn dies doch das Ende ihres Berufes und damit aller wirtschaftlichen Sicherheit bedeutet hätte? Ist es nicht verständlich, dass sie es vorzogen, dem Wunsch nach oberhirtlich verordneter Illusion nachzugeben und einfach mitzuspielen?
Welcher junge Mann, der unbedingt Priester werden möchte, wird angesichts dieser Lage noch offen mit seinen Ausbildern reden, um mit ihnen speziell auf ihn zugeschnittene Wege zu suchen, wie er den Zölibat leben kann? Welcher Priester; der homosexuell veranlagt ist, wird sich seinem Bischof oder anderen Mitbrüdern anvertrauen, damit diese ihm helfen können, mit seiner Homosexualität verantwortungsvoll umzugehen?
Wer klug ist und wem sein Beruf etwas bedeutet, der wird es unter den derzeitigen Umständen nicht tun. Stattdessen wird er die Strategien der Vertuschung und Verheimlichung nach außen und der Sublimierung im Privaten weiter verfeinern. Das Verhältnis von Klerikern untereinander und zu den ihnen anvertrauten Gläubigen baut so auf einer prinzipiellen Unredlichkeit auf und steht von Anfang an unter dem Vorzeichen der Lüge, die die theologische Tradition als die Mutter aller Sünden bezeichnet.
Dass durch diese Scheinheiligkeit und die damit einhergehende Vertuschungstaktik erst die »negativen Folgen« entstehen, die das römische Dokument durch homosexuelle Priester gegeben sieht, ist offensichtlich. Hier gibt es dann doch einen Zusammenhang zwischen dem kirchlichen Umgang mit Homosexualität auf der einen und Kindesmissbrauch auf der anderen Seite, auch wenn er sich ganz anders darstellt, als es die Kirchenfürsten bei ihrer Suche nach Sündenböcken gerne hätten: Beide Probleme werden durch Vertuschung und Heimlichtuerei enorm verstärkt.
So wie die Vertuschung von Homosexualität seit 2005 direkt gefördert wird, so war sie bezüglich des Missbrauchs von Schutzbefohlenen in der katholischen Kirche seit 2001 ausdrücklich vorgeschrieben. In dem Jahr veröffentlichte die vatikanische Glaubenskongregation ein von Kardinal Ratzinger verfasstes Schreiben an die katholischen Bischöfe in aller Welt, [45] in dem Missbrauchsfälle grundsätzlich unter das Gebot päpstlicher Geheimhaltung gestellt werden. Das bedeutet: Die Bischöfe durften solche Fälle unter schwerster kirchlicher Strafandrohung weder veröffentlichen noch an ein weltliches Gericht weitergeben, sondern nur direkt im geheimen kirchlichen Kreis klären lassen. [46] Dahinter steht das mittelalterliche Denkmodell, nach dem ein Kleriker nur von höher gestellten Klerikern, niemals aber von Laien, seien sie nun Bundeskanzler oder Staatsanwalt, gerichtet werden darf.
Dazu passt dann auch, dass das Schreiben den sexuellen Missbrauch von Kindern auf eine Stufe stellt mit der Weihe von Frauen zu Priestern. Auch wenn die deutschen Bischöfe inzwischen unter dem Druck der Öffentlichkeit eigene Richtlinien erlassen haben, ist es interessant, dass Papst Benedikt noch immer ganz in dem Denken von damals verhaftet ist. In seinem Brief an die irische Kirche vom 19. März 2010, [47] in dem er sich zu den Missbrauchsfällen äußert, fordert er nun zwar zu einer Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen auf, sieht das größte Problem aber darin, dass durch das Bekanntwerden der Vergehen die Kirche in Irland Schaden genommen habe und der Respekt vor den kirchlichen Autoritäten gesunken sei.
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Das Problem der katholischen Kirche sind nicht homosexuell veranlagte Priester, sondern die Tatsache, dass sie gezwungen werden, ihre Homosexualität krampfhaft zu verheimlichen, und dass noch die unheiligsten Taten systematisch mit einem heiligen Schein überklebt werden.
»Ich bin doch nicht schwul!«
Besonders fatal wirkt sich diese Scheinheiligkeit der katholischen Kirche in der öffentlichen Wahrnehmung dadurch aus, dass sie für unverbildete Laien, die sonst nicht viel mit Klerikern zu tun haben, allzu leicht durchschaubar ist. Und das nicht nur, wenn wieder einmal ein besonders spektakulärer Fall durch die Medien geht. Der Publizist und Friedensforscher Peter Bürger stellte dazu im Dezember 2005 in einem Beitrag für die Internetseite der »Initiative Kirche von unten« fest: »Schon jetzt spekulieren bei öffentlichen Medienauftritten viele Zuschauer, welche
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