Der heilige Schein
mit härtesten Strafen rechnen. Wer dagegen wie Williamson neurotischen Frauenhass an den Tag legt, wird von Rom hofiert. Dazu passen die fortwährenden Mahnungen hoher Kirchenfürsten vor einer »Feminisierung« unserer Gesellschaft. Wenn Kardinal Ratzinger ein Jahr vor seiner Wahl zum Papst in einem offiziellen Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre die Rolle der Frau lobt, da sie wie Maria »auf einzigartige Weise dazu beiträgt, das wahre Antlitz der Kirche, der Braut Christi und der Mutter der Gläubigen, zu offenbaren«, [55] kann man das dann nur noch als Ausdruck des taktisch aufrechterhaltenen heiligen Scheins der Kirche werten.
Mitarbeiter der Inquisition?
Entweder hatten sich die Enthüllungen von kreuz.net nicht bis in den Vatikan herumgesprochen (was nach dem, was wir bereits wissen, sehr unwahrscheinlich ist), oder man setzte bewusst auf Mitarbeiter, die aus Sicht der katholischen Kirche »Leichen im Keller« haben. Wie dem auch sei: Am 2. Mai 2009 erfolgte meine Ernennung zum Lektor der römischen Glaubenskongregation, der früheren Inquisition. Bis zum heutigen Tag hat diese Institution den Auftrag, Andersdenkende in der katholischen Kirche aufzuspüren, ihnen den Prozess zu machen und sie zur Umkehr zu bewegen oder zu verurteilen. Die innerkirchliche Macht der Glaubenskongregation gründet sich auch darauf, dass sie nicht nur aus offiziellen, in der Kirche namentlich bekannten, sondern ebenfalls sehr vielen nach außen nicht in Erscheinung tretenden, diskret agierenden Mitarbeitern außerhalb des Vatikans besteht. Die Lektoren gehören zu dieser zweiten Gruppe.
Unterzeichnet ist meine Ernennungsurkunde vom amerikanischen Kurienerzbischof Joseph Augustine di Noia aus dem Dominikanerorden, der unter dem gegenwärtigen Papst eine steile Karriere gemacht hat und eines meiner Bücher über Thomas von Aquin, das auch in den USA erschienen ist, außerordentlich schätzte.
Als eine Art »inoffizieller Mitarbeiter« bekam ich zu nächst die Aufgabe, zwei deutschsprachige theologische Zeitschriften zu überwachen, darunter die von den sehr fortschrittlichen Innsbrucker Jesuiten herausgegebene Zeitschrift für katholische Theologie, und eventuell auftauchende Abweichungen von der traditionellen Lehre der Kongregation diskret und ausführlich begründet zu melden.
Zur Denunziation eines »Ketzers« bei der Glaubenskongregation durch mich kam es jedoch nicht mehr. Zu weit hatte ich mich innerlich schon von dem dahinterstehenden System des Integralismus entfernt, der die vollständige und kompromisslose, ungeschichtliche Konservierung der Tradition des Katholizismus als höchstes Gut des Christentums betrachtet. Der Ernennung zum Lektor hatte ich nur zugestimmt, um mehr über die Arbeit der geheimnisumwobenen Institution zu erfahren, der unser jetziger Papst über mehr als zwei Jahrzehnte Vorstand. Aber auch dazu kam es nicht mehr.
Ohnehin bekannt ist, dass die römische Glaubenskongregation und auch andere vatikanische Institutionen auf Denunziationen primär aus dem konservativ-katholischen Lager setzen, um so die Gesinnungskontrolle über die nationalen Teilkirchen zu verstärken. Der Jesuit und Professor Wolfgang Seibel, langjähriger Herausgeber der renommierten, eher progressiv orientierten Zeitschrift Stimmen der Zeit, bemerkte schon am 12. Februar 1999 in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, die Tendenz zur Denunziation in Rom, aber auch bei den Ortsbischöfen nehme immer mehr zu: »Zunächst ist es richtig, dass die Bischöfe geradezu überschwemmt werden von solchen Briefen, die auf angebliche Missstände aufmerksam machen, auch von Denunziationen. Das hat es immer gegeben und das wird man nie ausrotten können, aber das Entscheidende ist, wie man darauf reagiert. Es ist sehr schlimm in der Kirche, dass diese Denunziationen vor allem in Rom heute ernstgenommen werden und gewissermaßen als die Stimme des gläubigen Volkes betrachtet werden.«
Meine Erfahrungen haben gezeigt, dass sich diese Tendenz weiter verstärkt hat, und es verwundert nicht, dass dabei die Sexualität - neben Abweichungen vom übrigen kirchenpolitischen Kurs Roms - eine Schlüsselrolle spielt. Die Theologin Uta Ranke-Heinemann wird im Spiegel vom 23. September 2005 mit der Bemerkung zitiert: »Gegenseitige Denunziation von Priestern ordnete schon die Synode von St. Pölten 1284 an. Damals ging es gegen Priester, die eine heimliche Konkubine hatten. Inzwischen geht es gegen Priester, die heimlich einen
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