Der heilige Schein
seinem Sinne zu nutzen.
»Eine Homo-Seite: dort publizieren Sie doch nicht!?«
Die Strategie dieser zweiten Fraktion, die den heiligen Schein wahren wollte, wurde mir zum ersten Mal ganz deutlich, als ich im Mai 2007 eine kritische Glosse über kreuz.net veröffentlichte. Ich wählte dazu die sich als ironische Antwort auf kreuz.net verstehende Gegenseite kreuts.net, da ich deren Macher persönlich kannte und ihren selbstlosen Einsatz gegen Fundamentalisten aller Couleur schätzte.
Im Impressum von kreuz.net heißt es: »>kreuz.net< ist die Initiative einer internationalen privaten Gruppe von Katholiken in Europa und Übersee, die hauptberuflich im kirchlichen Dienst tätig sind. >kreuz.net< akzeptiert ohne Namen eingereichte Informationen und betrachtet es als Ehrensache, die strikte Anonymität seiner Informanten zu wahren.«
Im sarkastischen Kontrast dazu schreibt kreuts.net in seinem Impressum: »>kreuts.net< ist die Initiative einer internationalen privaten Gruppe in Europa und Übersee, bestehend aus Schwulen, Lesben, Juden, Moslems, Christen und noch vieles mehr.«
Ein Wort in diesem kleinen Text wirkte auf die geistlichen Herren der Fördergemeinschaft wie der heranschleichende Fuchs auf den Hühnerstall. Unglaublich, da stand tatsächlich »Schwule«! Dass ich in meiner Glosse den Papst, positive Aspekte der Liturgiereform und das Zweite Vatikanische Konzil gegen Ultrakonservative und Rechtsradikale verteidigte und für einen kultivierten und toleranten Konservativismus plädierte, spielte, nachdem man das »böse Wort« entdeckt hatte, keine Rolle mehr. Inhaltlich konnte man gegen meine Ausführungen offiziell ja nichts sagen, auch wenn man von der Sache her eigentlich eher auf der Seite von kreuz.net stand.
Erst im Nachhinein, als man sich langsam daranmachte, mein Outing aufzuarbeiten, schrieb der Philosoph Walter Hoeres, über zwanzig Jahre Mitarbeiter von Theologisches , im Mai 2010 in eben dieser Zeitschrift, letztlich sei mein nicht zu billigender »engagierter Kampf gegen den Vulgärtraditionalismus und auch gegen die Piusbruderschaft« das eigentliche Problem gewesen.
So biss man sich also am Impressum der Seite fest, auf der ich die Glosse veröffentlicht hatte, und übernahm in nicht zu über bietender Naivität die Deutung, die kreuz.net zuvor geliefert hatte, nämlich dass es sich bei kreuts.net um eine » Sodomitenseite « handle.
Zunächst kam in den Gesprächen, die man daraufhin mit mir führte, der indirekte Vorschlag auf, so zu tun, als sei mir dieser Text von böswilligen Menschen nur untergeschoben worden, um mir und Theologisches zu schaden. Etwa so: »Der Text stammt doch nicht von Ihnen! Den haben Ihnen doch Feinde untergeschoben!« Als ich auf diesen Vorschlag nicht einging, versuchte man es mit der Variante: »Aber den hat doch diese Homo-Seite ohne Ihre Erlaubnis veröffentlicht! Sie publizieren doch nicht auf Seiten, auf denen auch Homosexuelle schreiben! Oder?« Als ich auch auf diesen zweiten Versuch der Wahrung des heiligen Scheins nicht einging, herrschte große Empörung unter den geistlichen Herren der Fördergemeinschaft. So etwas dürfe nicht mehr vorkommen, auf keinen Fall dürfe ich auf solchen Seiten publizieren. Sonst müsse ich mich nicht wundern, wenn unappetitliche Dinge über mich an die Öffentlichkeit kämen, und sei als Herausgeber von Theologisches nicht mehr tragbar. Generell sollte ich am besten zu kreuz.net keine Stellung mehr beziehen.
Im Interesse der Zeitschrift ging ich auf diese Beschränkungen zunächst ein und gelobte Besserung. Im Nachhinein stellte sich das natürlich als Fehler heraus, denn ab dem Zeitpunkt war den Herren klar: Wir müssen nur mit der Fahne Homosexualität winken, und schon haben wir unseren Herausgeber wieder unter Kontrolle. Das nutzte man dann auch ein ums andere Mal, wenn ich etwas getan oder geschrieben hatte, was nicht in das Welt- oder Kirchenbild der Fördergemeinschaft passte. Seit ich auf den Vorschlag, eine große Artikelserie zum Thema Freimaurerei in Theologisches zu bringen, äußerst skeptisch reagiert hatte, betrachtete man mich außerdem als kirchenpolitisch unzuverlässig. Die Artikelserie sollte die verderblichen Einflüsse geheimer freimaurerischer Verschwörungen in der katholischen Kirche aufdecken. Diese Stoßrichtung entsprach genau den abstrusen Verschwörungstheorien, wie sie nicht nur in rechtsradikalen Kreisen, sondern auch in der Piusbruderschaft Hochkonjunktur haben - und interessanterweise
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